Seit zehn Jahren ist Toni ein zuverlässiger Kamerad. Geduldig sitzt er am Tisch vor dem Rathaus und schaut sich um. Der hölzerne Mann freut sich über Gesellschaft, hört zu und plaudert nichts aus. Diese Eigenschaften haben Manuela Schäfer dazu bewogen, ihre Sprechstunde auf dem Rathausplatz mit Toni gemeinsam abzuhalten. Sie greift den einstigen Brauch auf, die Worte der Bibel auf dem Marktplatz des Dorfes zu verkündigen und hat die Bevölkerung eingeladen, beim Toni mit einer Tasse Tee über Theologie zu sprechen. «Toni drängt sich nicht auf und fängt nicht gleich an, gute Ratschläge zu geben», sagt sie.[caption_left: Toni beobacht die Pfarrerin Manuela Schäfer und den Mann mit dem Leopardenmantel, Thomas Torgler. Bild: vdl]Keine Musse, an der Ansprache zu schreibenSonst zieht sich Manuela Schäfer ins Pfarrhaus zurück, um ihre Predigten zu schreiben. Dieses Mal sitzt sie mit Notizheft und Stift neben der Holzfigur. Bei einer Tasse Tee möchte sie die Ansprache formulieren, die sie am Sonntag im Taufgottesdienst hält. Manuela Schäfer weiss noch nicht, was sie sagen will. Sie erhofft sich, dass sich Menschen zu ihr gesellen, sie in ihrem Gedankengang unterbrechen und ihr Ideen geben. «Ich möchte zuhören und erfahren, mit welchen Themen sich die Menschen befassen», sagt sie.Musse zum Schreiben findet Manuela Schäfer nicht. «Das habe ich auch nicht erwartet», sagt sie. Kaum hat sie Platz genommen, es breitet sich der Duft heissen Tees aus, setzen sich die ersten Leute zu ihr. «Ich höre Manuela Schäfer gern predigen», sagt Hardi Bürki. «Sie erzählt nicht irgendetwas und liest nicht ab. Ihre Worte kommen von innen heraus.» Der Katholik philosophiert gern über Gott und Welt. Er stellt das von ihm frisch gebackene Brot auf den Tisch und offeriert es der Runde.Voll des Lobes für die Aktion ist July Thurnheer, ehemals Präsident der reformierten Kirchgemeinde: «In den Pfarrgarten wäre wohl kaum jemand gekommen.» Er bezeichnet sich selbst als «Mister Toni», war er es doch, der vor zehn Jahren die IG Toni gründete und den Rathausplatz zum ständigen Ort der Begegnung mitentwickelte.Ein Kirchgänger sei er nicht, sagt Albert Seckinger und nimmt Platz, um sich zu unterhalten. Das Thema ist zweitrangig. Er verstehe nicht, warum es sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche brauche: «Für mich sind beide Konfessionen eine Landeskirche.»Bettina Lüchinger pausiert auf ihrem Spaziergang, im Kinderwagen liegt Kira. «Mir ist es wichtig, in der Kirche eine Gemeinschaft zu erleben», sagt sie. «Mir gefällt, dass Manuela Schäfer persönlich und nah an den Leuten predigt.» Einen Themenvorschlag könne sie heute aber nicht geben. Das sei auch nicht nötig.[caption_left: Isabelle Fessler und der Ökumenische Kinderchor Rägeboge bringen spontan ein Ständchen. Bild: vdl]«Sie ist keine Überziehpfarrerin»«Die Menschen, die einem Pfarrer oder einer Pfarrerin im Gottesdienst zuhören, möchten Anregungen zum Nachdenken bekommen», sagt Manuela Schäfer. Auch ist es wichtig, dass die Predigt nicht zu lange dauert. «Sie ist keine Überziehpfarrerin», sagt July Thurnheer.In der Tat wendet Manuela Schäfer eine Faustregel an: Ein Sondergottesdienst (Taufe, Hochzeit, Abdankung, Konfirmation) dauert 64 Minuten; ein Stingo (in Bernecker Mundart ist das ein stinknormaler Gottesdienst) ist nach 50 Minuten zu Ende. Eine Predigt dauert nicht länger als 10 bis 15 Minuten, im Familiengottesdienst lediglich drei Minuten. Jedem Abschied fügt Manuela Schäfer hinzu: «Bis zum nächsten Mal!» Folglich wird es vor dem Rathaus wohl wieder einmal «Tee und Theologie bei Toni» heissen.[caption_left: Hardi Bürki (links) hat selbst gebackenes Brot mitgebracht.] Bild: vdl