Er kennt sein Opfer, seit er vierzehn ist, seit 35 Jahren. Die beiden standen sich nah, liehen sich Geld, stritten, versöhnten sich wieder. Bis zu jenem 5. Oktober 2019, als der einstige Wirt und gelernte Elektromonteur «nicht klar im Kopf» gewesen war, wie er den Richtern sagte.Am Mittwoch, bei der Verhandlung in Altstätten, sprudelte es gleich zu Beginn nur so aus ihm heraus: Was geschehen sei, tue ihm «unheimlich leid», nie hätte es dazu kommen sollen, unter Drogeneinfluss habe er seinen Schuldner «in die Schranken weisen» und an dessen Wohnsitz eine Wand «echli schwarz anbrennen lassen» wollen. Als Denkzettel, fügte er später hinzu. Er habe die zwei Flaschen extra so platziert, dass sie beim Schmelzen des Plastiks nach vorn kippen und die Flamme löschen sollten. «Völliger Blödsinn» sei das, meinte die Staatsanwältin.Aufmerksame Frau sah zum Glück eine FlammeEs geschah am frühen Morgen und endete nur deshalb glimpflich, weil erstens eine aufmerksame Autofahrerin sofort den Notruf informierte. Zweitens konnte ein ebenfalls zufällig anwesender Polizist den Brandsatz vor der Eingangstür des Mehrfamilienhauses entfernen und dem Brand am Fenster mit dem Feuerlöscher ein Ende setzen.Die insgesamt sechs Menschen, die sich im Haus aufhielten, konnten es mit Hilfe der Feuerwehr unversehrt verlassen. Es entstand ein Schaden von rund 19000 Franken.Vor Gericht stand der Täter im Wesentlichen wegen versuchter qualifizierter Brandstiftung. Qualifiziert heisst, dass der Täter Menschen willentlich konkret gefährdete, sodass er sich der Gefährdung bewusst war. Die Freiheitsstrafe hierfür beträgt mindestens drei Jahre. Weil der Angeklagte aber auch wegen mehrfachen versuchten Diebstahls (auch wegen Sachbeschädigungen und Hausfriedensbruchs) sowie Drogenkonsums vor Gericht stand, beantragte die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren, eine Busse von 2000 Franken sowie einen Landesverweis für sieben Jahre.Die Verteidigung ist der Meinung, höchstens zwei Jahre Haft würden genügen, zudem eine Busse von 500 Franken. Auf einen Landesverweis sei zu verzichten; der Mann lebe seit bald fünfzig Jahren in der Schweiz, beherrsche seine Muttersprache nicht wirklich und habe seine Familie – Mutter und Bruder – hier, im St. Galler Rheintal. Mit seinem Heimatland verbinde ihn nichts.Nachts dreimal die Notrufzentrale angerufenDie versuchte Brandstiftung bezeichnete die Verteidigung als «Eskalationspunkt einer sehr verfahrenen Situation bzw. eines längeren Konflikts». Der Angeklagte sei sich ungerecht behandelt vorgekommen und habe sich unter dem Einfluss von Drogen nicht mehr zu helfen gewusst, weshalb er sich in der Nacht auf den 5. Oktober 2019 dreimal bei der kantonalen Notrufzentrale gemeldet habe – kurz nach Mitternacht, um halb zwei Uhr sowie kurz nach vier. Bei diesen Anrufen beschuldigte er den Freund, mit Kokain zu handeln. Der Mitarbeiter der Kantonspolizei schenkte dem Anrufer allerdings kein Gehör und forderte ihn auf, sich tagsüber bei einer regionalen Polizeistation zu melden.Vor Gericht erklärte der Angeklagte seine «Rage und Hilflosigkeit» so: Am Tag vor der versuchten Brandstiftung habe er den Freund morgens im «Contact» (in der gassennahe Kontakt- und Anlaufstelle in Heerbrugg) getroffen, ihm 400 Franken geliehen und gemeint, am Abend werde er die gleiche Summe wieder holen kommen. Am Telefon soll später sein Schuldner die Schulden nicht anerkannt haben und seinerseits geltend gemacht haben, der Angeklagte würde ihm Geld schulden.Der Gerichtspräsident fragte: «Wieso dachten Sie, Sie würden die 400 Franken am Abend zurückbekommen?»Angeklagter: «Ich hatte ans Gute im Menschen geglaubt.»Gerichtspräsident: «Wie konnte es sein, dass er am Abend das Geld hat?»Angeklagter: «Das weiss er besser als ich.»(Bei anderer Gelegenheit unterstellte der Angeklagte dem Gericht, ihn mit den Fragen «ins Bockshorn jagen» zu wollen.)Bei zwei Tankstellen Restbenzin abgezapftNach dem dritten Anruf bei der Notfallzentrale beschloss der Angeklagte, selbst gebastelte Brandsätze vor dem Haus zu deponieren, in dem sein Schuldner mit der Freundin wohnte. Er nahm zwei leere PET-Halbliterflaschen zur Hand, stopfte WC-Papier in eine Tasche und fuhr damit auf dem Velo zur Amag-Garage in Heerbrugg und anschliessend zur Coop-Tankstelle. Hier wie dort füllte er ab mehreren Tanksäulen insgesamt zwei bis drei Deziliter Restbenzin in jede Flasche. Dann fuhr er zu seinem Freund und dessen Freundin, stopfte WC-Papier in die Flaschen und platzierte sie beim Haus – die eine auf dem Boden vor der Eingangstür aus Holz, die andere links daneben, hinter einem Fensterladen. Das in die Flaschen gestopfte, mit Benzin getränkte, aus den Flaschen herausragende WC-Papier zündete er an – und verliess den Tatort.2013 «letzte Chance» vom MigrationsamtDer Mann hat zwölf Vorstrafen. Die Staatsanwältin sagte, von 2008 bis 2016 sei der Mann praktisch durchgehend straffällig gewesen. Als IV- und Ergänzungsleistungsbezüger lebe er auf Kosten der Steuerzahler, einer Erwerbstätigkeit gehe er nicht nach. Vor sieben Jahren habe das Migrationsamt dem Angeklagten mit dem Entzug der Niederlassungsbewilligung gedroht und ihm eine «letzte Chance» gewährt.Der Invalidität sei ein «Lungenkollaps» vorausgegangen, erklärte der Angeklagte den Richtern, er habe im Koma gelegen. Die Verteidigung wandte ein, zu den Vorstrafen sei es ausnahmslos in Verbindung mit Beschaffungskriminalität gekommen. Die versuchte Brandstiftung als Gewaltdelikt werde einmalig bleiben. Der Angeklagte, der bereits im Gefängnis sitzt, habe sich stabilisiert, nehme die verschriebenen Medikamente ein, sei kooperativ, habe sich etwas erholt und sei zu einer Therapie bereit. Der Angeklagte selbst beteuerte die Absicht, von den Drogen loszukommen. Das habe er – für acht Jahre – schon einmal geschafft.Von Einbruchsversuchen will er nichts wissenDie Verteidigung hob auch die Geständnisbereitschaft nach dem Brandanschlag positiv hervor. Als völlig unschuldig versuchte sich der Angeklagte jedoch im Zusammenhang mit drei versuchten Einbrüchen im Raum Heerbrugg darzustellen. Obschon insgesamt drei Schraubenzieher mit der DNA des Angeklagten an den Tatorten gefunden wurden und Spuren an einem Fenster klar auf den Einbruchsversuch hindeuteten, wies der Angeklagte jede Schuld von sich und meinte keck, er komme sich ja direkt vor «wie ein Schraubenzieher-Vertreter».Geld sei ihm übrigens nicht so wichtig, meinte er. Doch in seinem Leben seien sicher manche Dinge schiefgelaufen. Dazu gehört auch sein Versuch, mit Optionenhandel erfolgreich zu sein. Quasi spielsüchtig, habe er sich leider zu weit aus dem Fenster gelehnt. Er habe, sagte der heutige IV-Bezüger, «von einem Tag auf den andern eine Viertelmillion verloren».HinweisDas Urteil bekommt der Angeklagte schriftlich eröffnet. Seine Gefängnisstrafe hat er bereits angetreten – in der Justizvollzugsanstalt Pöschwies.