03.09.2020

«Balgach könnte schon viel weiter sein»

Gemeinderat Reto Schmidheiny will Gemeindepräsident werden und tritt somit gegen die amtierende Silvia Troxler an.

Von Interview: Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Im Mai kritisierte die FDP Balgach die amtierende Gemeindepräsidentin Silvia Troxler erstmals scharf. Kurz darauf gab die (im Gemeinderat dreifach vertretene) FDP bekannt, dass ihr Ratsmitglied Reto Schmidheiny gegen Silvia Troxler zur Wahl Ende September antritt.Schmidheiny kandidiert unter dem Motto «Gestalten statt verwalten». Seit 2017 gehört der 55-Jährige dem Gemeinderat an. Er lebt seit fast einem Vierteljahrhundert in Balgach, ist verheiratet und hat vier Kinder im Alter von 7 bis 15 Jahren. Seit vielen Jahren ist er in der Industrie in leitender Funktion tätig.Reto Schmidheiny ist der Meinung, die Gemeinde Balgach könnte mit ihren wichtigen Projekten schon viel weiter sein und sollte sehr viel stärker in regionale Organisationen eingebunden sein. Die vorrangigen Balgacher Ziele würden im Gemeinderat zwar immer wieder zur Sprache gebracht, trotzdem sei das Dorf im regionalen Vergleich ins Hintertreffen geraten. Zu den zentralen Anliegen Schmidheinys, der sich immer wieder aufs Papier «Vision 2025» beruft, gehört die Informationspolitik.Reto Schmidheiny, indem Sie fürs Gemeindepräsidium kandidieren, geben Sie zu verstehen, dass Sie der Meinung sind, besser für dieses Amt geeignet zu sein als die amtierende Präsidentin. Richtig?Reto Schmidheiny: Meiner Motivation liegt der Eindruck zugrunde, dass wir in der bisherigen gemeinderätlichen Konstellation nicht wunschgemäss vorwärtskommen. Wichtige Projekte liegen zwar bei Gemeinderatsverhandlungen immer wieder auf dem Tisch, trotzdem sind wir weit im Hintertreffen. Gemäss dem Papier «Vision 2025», das mir als Leitlinie dient, ist einiges nicht umgesetzt, obwohl es dies sein sollte.Sie sind im vierten Jahr Balgacher Gemeinderat. Ich nehme an, Sie haben als Gemeinderat zur beanstandeten Gesamtbilanz beigetragen? Einerseits ist jedem Gemeinderat eine gewisse Einarbeitungsphase zuzugestehen, anderseits habe ich im Gemeinderat immer wieder Vorstösse unternommen.Und weshalb brachten sie nicht den erhofften Erfolg? Die amtierende Präsidentin ist zu 100 Prozent angestellt und hat die Verwaltung im Rücken. Wir Räte sind Milizler, haben teils sehr umfangreiche Akten zu studieren und bei Projekten jeweils eine Richtung vorgegeben. Wer eine andere Meinung durchsetzen will, muss faktisch in die Opposition gehen. Für mich stimmte schliesslich die eigene Energiebilanz nicht mehr. Angesichts der bescheidenen Einflussmöglichkeit in der aktuellen Konstellation bleibt mir entweder der Rücktritt oder die Kandidatur fürs Gemeindepräsidium. Ich nutze jetzt die Chance, mich mit der Kandidatur für eine Veränderung einzusetzen.Als Gemeinderat sind Sie Mitglied der Kommission Wolfsbach. Warum ist noch kein Hochwasserschutzprojekt ausgearbeitet? Im Geschäftsbericht 2014 hiess es, das Massnahmenkonzept Naturgefahren sei erstellt, eine Information war angekündigt. Im Geschäftsbericht 2016 ist vom Abschluss des Massnahmenkonzepts die Rede; die kantonale Prüfung und ein Vorprojekt wurden in Aussicht gestellt. Im «Rheintaler» war im Januar 2016 zu lesen, die Hochwassergefahr am Wolfsbach habe erste Priorität. Tatsächlich habe ich versucht, das Projekt voranzutreiben, so gut es ging. Gleichzeitig wollte ich es sehr viel stärker ins öffentliche Bewusstsein rücken.Inwiefern? Nicht alle in Balgach sind überzeugt, dass wir ein Hochwasserproblem haben. Andere meinen, es genüge, ein paar «Riegel» in den Bach zu bauen. Der Bevölkerung fehlen die nötigen Infos. An der Gemeinde liegt es, klar zu zeigen, inwiefern ein Problem besteht und wie es sich lösen lässt.Was mit der Informationspolitik zu tun hat. Ja – und sie ist eines meiner zentralen Anliegen: Ich würde als Präsident viel mehr informieren, auch über Zwischenergebnisse berichten, wenn sich auf Wünsche noch eingehen lässt und Änderungen noch möglich sind. Bezüglich Wolfsbach habe ich in den beiden letzten Jahren mehrfach auf eine öffentliche Information vor Ort gedrängt, mit einer Besichtigung und einer anschaulichen Darlegung des ganzen Themenspektrums. Leider fand ich nur zögerlich Gehör und nun gibt es Corona.Sie sagen von sich, Sie seien ein Gestalter, kein Verwalter. Lässt sich das mit konkreten Leistungen in der Vergangenheit untermauern? Seit 30 Jahren bin ich in der Industrie, und somit sozusagen hart am Wind. Im internationalen Wettbewerb mit Margendruck sind zwangsläufig Macherqualitäten gefragt. Besondere Bedeutung messen Sie dem Wohnen im Alter zu. Hätten Sie als Gemeindepräsident einen anderen Weg eingeschlagen als den, den Balgach bisher gegangen ist? Ja, bestimmt. Der Workshop zum Thema im Mai 2017 war zu begrüssen, seither erhielt die Bevölkerung keinerlei Infos mehr und kein Feedback. Am Projekt wird von einem halben Dutzend Personen im Hintergrund gewerkelt. Nach zweieinhalb oder drei Jahren war klar, dass etwa 50 stationäre Plätze nötig sind. Meine Vorstellung wäre die viel breitere Abstützung. Auch sollten wir von den Erfahrungen der umliegenden Gemeinden lernen. Für mich ist Diepoldsau ein gutes Beispiel.Warum? Dort wurden die Generationen zusammengebracht, indem sich im neuen Zentrum Einrichtungen wie die Spitex oder der Kinderhort und die Ludothek befinden. Dazu kam es nur, weil das Projekt breit abgestützt war. In Balgach sind hingegen noch nicht einmal der Standort, die Trägerschaft und das Angebot geklärt. Was kann die Gemeinde selbst tun, inwiefern bedarf es einer regionalen Lösung? Beispielsweise für demente Menschen oder für die ambulante Versorgung während 7 x 24 Stunden ist eine solche zumindest zu prüfen.Müsste denn der Standort schon geklärt sein? Ganz klar. Mir sagten viele Einheimische, sie wollten im Alter nicht auf einem Hügel leben, sondern im Dorf. Der Projekttitel heisst ja auch «Selbstbestimmtes Wohnen im Alter».Welchen Aufgaben würden Sie sich als Gemeindepräsident prioritär zuwenden – neben Wohnen im Alter und Hochwasserschutz? Der regionalen Zusammenarbeit und der Führung. Mir liegt an einer vertrauensvollen Umgebung mit Entwicklungspotenzial für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zu delegieren sind nicht nur Aufgaben, sondern auch Kompetenzen. Meine Türen sind nicht nur sinnbildlich offen. Übrigens: Um den Skaterpark, der mir ein Anliegen ist, einen Hag zu ziehen wie bei Fort Knox, ist nicht in meinem Sinn, so eine Anlage sollte freundlich und einladend sein. Überdies brauchen die Jungen einen Begegnungsplatz, der diese Bezeichnung verdient.Sie erwähnten bei der Medieninfo über Ihre Kandidatur das Wild-Heerbrugg-Areal und den Sondernutzungsplan, der zum allseits akzeptierten Abschluss zu bringen sei. Silvia Troxler schrieb in der «Balger Zittig», das Projekt sei weit fortgeschritten. Würden Sie sich hier also nicht mit fremden Federn schmücken? Wer ein neues Amt antritt, übernimmt immer Gutes und weniger Gutes. Für die Entwicklung des genannten Areals ist sicher viel getan worden, aber es verstrich zu viel Zeit. Mit dem raschen wirtschaftlichen Wandel ändern sich auch Bedürfnisse. Zudem gilt dasselbe wie fürs Altersprojekt: Eine bessere Einbindung der Anspruchsgruppen wäre wünschbar gewesen. Umliegende Gemeinden und der Verein Agglomeration Rheintal wurden spät begrüsst.Sie geben sich betont wirtschaftsfreundlich und finden, bei der öffentlichen Beschaffung gebe es mehr Spielraum, der sich nutzen liesse. Wie konkret? Für diese Sache kämpfe ich seit drei Jahren, erste Erfolge liessen sich bereits erzielen. Besonders im freihändigen Verfahren sollte Balgach den bestehenden Spielraum nutzen, wie zum Beispiel Oberriet dies vorbildlich macht – wohlgemerkt, ohne dass dem Steuerzahler daraus ein Nachteil erwächst. Wichtig wäre mir auch eine Streichung der Ausnützungsziffer, wie andere Gemeinden in unserer Region es bereits gemacht haben. Im Gespräch mit zwei Gemeindepräsidenten wurde mir versichert, dass der Verzicht auf die Ausnützungsziffer ohne negative Folgen geblieben sei.Inwiefern ist denn Spielraum vorhanden? Im freihändigen Verfahren kann man nachverhandeln. Das wurde bei uns nicht gemacht. Erwähnt sei, dass natürlich auch die Berücksichtigung des regionalen Gewerbes deutlich besser ist als ein Auftrag an ein Zürcher Unternehmen, beispielsweise.Was sonst braucht das mit der Kommunalpolitik teils unzufriedene Gewerbe? Als Gemeindepräsident läge mir generell der regelmässige Austausch mit dem Gewerbeverein am Herzen.Sie wollen «Gebühren prüfen und anpassen». Was heisst das? Ich bin nicht sicher, ob unsere Gebühren dem Anspruch standhalten, wie er in der «Vision 2025» festgehalten ist. Dort ist von Versorgung und Entsorgung zu günstigen Preisen die Rede. Es ist zu klären, ob wir in Balgach den Umständen angemessene Tarife haben.Glasfasernetz, Infrastrukturaufrüstung: Das lässt an einen steigenden Steuerfuss denken. Ein schneller und sicherer Zugang zu Informationsnetzen ist ebenfalls im Visionspapier festgehalten, trotzdem ist ein Glasfasernetz bisher leider kein Thema gewesen. Klar, es steht einiges an, auch bei der Schule, doch einen starken Anstieg des Steuerfusses erwarte ich nicht. Das Altersprojekt soll sich weitgehend selbst tragen, fürs Hochwasserschutzprojekt sind namhafte Subventionen zu erwarten. Selbst, wenn Balgach etwas Fremdkapital aufnehmen müsste, wäre das nicht schlimm. Es sei aber auch gesagt, dass ein massvoller Einsatz der Mittel ein grosses Ziel sein muss.Sie betonen die Wichtigkeit regionaler Zusammenarbeit. Was wäre denn von Ihnen als Präsident diesbezüglich zu erwarten? Sofern dies von den entsprechenden regionalen Organisationen gewünscht wird, bin ich zu leitender Mitwirkung bereit, zum Beispiel im Verein Agglomeration Rheintal. Abgesehen von der Amtsvormundschaft ist Balgach heute regional nirgends mit einer Führungsaufgabe betraut. Als unsere Gemeindepräsidentin vor zwei, drei Jahren aus dem Rhyboot-Verwaltungsrat austrat, waren wir Gemeinderäte nicht gefragt worden, ob allenfalls jemand Interesse an einer Nachfolge habe. Erst hinterher erfuhren wir von Silvia Troxlers Rücktritt.Das Suuserfest gibt es nicht mehr, was viele bedauern. Sie sagen, Sie würden die Auferstehung des Festes in neuer Form unterstützen. Wie? Ich gehöre dem Vorstand des nach wie vor existierenden Vereins Suuserfest an. Es ist wohl richtig, in kleinerem Rahmen neu anzufangen, verschiedene bestehende Ideen sind entwickelbar. Für Balgach gilt es generell, den Weinbau zu fördern und zu unterstützen. Auch dies ist bereits im Visionspapier von 2011 festgehalten.

Abo Aktion schliessen
News aus der Region?

Alle Geschichten, alle Bilder

... für nur 12 Franken im Monat oder 132 Franken im Jahr.