06.10.2020

Balgach ist das neue Steuerparadies

49 der 77 St. Galler Gemeinden haben im Coronajahr den Steuerfuss für 2020 gesenkt.

Von Christoph Zweili
aktualisiert am 03.11.2022
Wartau, die Sieben-Dörfer-Gemeinde am Fuss des Gonzens im Werdenberg, hat mit 160 Prozenten den höchsten Steuerfuss im Kanton St.Gallen. Den niedrigsten hat nach einer Senkung von fünf Steuerfussprozenten neu die Rheintaler Rebgemeinde Balgach – mit 72 Prozentpunkten verweist sie Mörschwil (75 Steuerprozente) auf Platz zwei. In der steuergünstigsten Gemeinde des Kantons sind damit die Gemeindesteuern weniger als halb so hoch wie in der Gemeinde mit der höchsten Belastung, wie die aktuelle Auswertung des kantonalen Steueramts zeigt. Vergleicht man die gesamte Steuerbelastung mit Bundes-, Kantons- und Gemeindesteuern, sind die relativen Unterschiede zwischen den Gemeinden geringer.Die kapitalkräftige Gemeinde Balgach mit einer Steuerkraft von 4403 Franken pro Einwohner (2019) kennt seit 2008 keine Verschuldung mehr. Bereits 2014 hatte die Steuerkraft 3655 Franken pro Kopf betragen. Gemeindepräsidentin Silvia Troxler sagt: «Die Gemeinde hat in den vergangenen fünf Jahren von einer wesentlichen Zunahme der Steuereinnahmen bei den natürlichen und juristischen Personen profitiert.» Auch bei den Grundstückgewinnsteuern sowie den Handänderungssteuern habe man hohe Erträge verzeichnet. Die Ertragsüberschüsse habe man jeweils für zusätzliche Abschreibungen verwendet. Der Selbstfinanzierungsgrad beträgt aktuell 369 Prozent – die Gemeinde ist also in der Lage, sämtliche Investitionen mehr als dreimal aus den erarbeiteten Mitteln zu decken.In Wartau hat Schuldenabbau PrioritätAm anderen Ende der Skala steht die Gemeinde Wartau, die in den 1990er-Jahren einen hohen Nachholbedarf an Infrastruktur aufwies: Die 5384-Einwohner-Gemeinde ist über sechsmal so gross wie Balgach, was zu einem teuren Unterhalt bei Leitungen, Strassen und Wegen führt. Seither wurden ein Betagtenheim, eine Abdankungshalle gebaut sowie Schulhäuser saniert oder neu erstellt. Die Investitionen führten zu einer hohen Verschuldung: Die Nettoschuld pro Kopf beträgt aktuell 3277 Franken. Die Steuerkraft ist mit 2027 Franken pro Einwohner tief, 2014 hatte sie noch 1786 Franken betragen. Von den juristischen Personen sind keine grossen Einnahmen zu erwarten: Es gibt nur einen einzigen grösseren Betrieb in der Gemeinde. Für den Gemeinderat hat der Schuldenabbau Priorität: Der Steuerfuss liegt seit 2014 unverändert bei 160 Prozenten. Auch im laufenden Jahr hat die Behörde daher auf eine Senkung verzichtet. Der Kurs stimmt: Die Nettoschuld wurde in den letzten sechs Jahren reduziert. Und es gibt Hoffnung: Der Gemeindehaushalt schloss 2019 mit einem Ertragsüberschuss von 5,2 Millionen Franken. Auch im laufenden Jahr wird ein Millionenplus erwartet.Nur 28 von 77 Gemeinden behalten ihren Steuerfuss beiTatsache ist: Es geht den St.Galler Gemeinden gut. 49 der 77 Kommunen haben ihre Steuerfussprozente im Coronajahr gesenkt – teilweise im zweistelligen Bereich. Obenaus schwingen die Gemeinden Sevelen (neu 110, minus 15 Prozentpunkte), Weesen (neu 115, minus 15), gefolgt von Widnau (neu 76, minus 10), Oberriet (neu 102, minus 10), Rüthi (neu 119, minus 10), Grabs (neu 110, minus 10), Wildhaus-Alt St.Johann (neu 128, minus 10), Lütisburg (neu 125, minus 10).Einen Steuerfuss unter 100 Prozentpunkten haben Balgach (72), Mörschwil (75), Rapperswil-Jona (76), Widnau (76), Zuzwil (82), Tübach (82), Au (87), Sennwald (88), Diepoldsau (89), Thal (89), Bad Ragaz (92), Rorschacherberg (96), Berneck (97) und Goldach (98). Nur zehn der 77 Gemeinden haben hohe Steuerfüsse von über 135 Prozent – noch vor zehn Jahren dümpelte die Mehrheit zwischen 145 und 159 Prozent. Mit 103,1 Prozentpunkten ist der Wahlkreis Rheintal derjenige mit dem niedrigsten Steuerfuss-Durchschnitt – von den 13 Gemeinden im Wahlkreis haben elf im laufenden Jahr ihren Steuerfuss gesenkt. Am anderen Ende der Skala ist der Wahlkreis Toggenburg mit einem Durchschnittswert von 132,4 zu finden.Steuerkraft der Gemeinden nimmt zuGenerell gilt: Der Steuerfuss aller Gemeinden, zusätzlich gewichtet auch nach den Steuererträgen, ist in den vergangenen fünf Jahren (2014 bis 2019) um 9,2 Steuerprozente zurückgegangen. In den vergangenen zehn Jahren (2009 bis 2019) betrug der Rückgang 13,9 Steuerprozente. Die Gemeinden haben zugelegt: Im Durchschnitt hat die Steuerkraft zwischen 2014 und 2019 um 13,3 Prozent zugenommen, gleichzeitig ist die Steuerdisparität zwischen den einzelnen Gemeinden grösser geworden: Im Jahr 2000 hatte die Differenz zwischen dem Minimal- und dem Maximalsteuerfuss der Gemeinden noch 42 Steuerprozente betragen, 2020 sind 88 Prozente.In den Jahren 2008 und 2009 hatte der kantonale Steuerfuss noch von 115 auf 95 Prozentpunkte reduziert werden können. In den Jahren 2012 und 2013 wurde er in zwei Sprüngen um 20 auf heute 115 Steuerfussprozente erhöht, seit 2013 ist der Steuerfuss konstant. SVP und FDP hatten in der Februarsession im Kantonsparlament im Alleingang einen Auftrag für eine Steuersenkung von 115 auf 110 Steuerfussprozente durchgebracht – gegen den Widerstand von Regierung, SP, Grünen, CVP und GLP.Die Regierung will nun allerdings im Budget 2021 entgegen dem Auftrag der bürgerlichen Kantonsratsmehrheit die Steuern nicht senken. Die Situation habe sich seit der Forderung vor der Pandemiekrise «um 180 Grad gedreht», sagte Finanzchef Marc Mächler.Sind die Gemeinden angesichts der Folgen der Coronapandemie zu früh mit den Steuerfüssen runter? Flavio Büsser, Generalsekretär im Finanzdepartement, sagt: «Bis sich Coronabremsspuren wie das Ansteigen bei den Arbeitslosenzahlen und die Sozialhilfe-Effekte auf der Aufwandseite zeigen, wird es dauern.» Bis jetzt seien es vor allem Bund und Kantone, die auf der Aufwandseite von den finanziellen Folgen der Pandemie betroffen seien. Büsser rechnet aber mit erheblichen Steuerausfällen aufgrund des Coronalockdowns, «diese Ertragsausfälle werden im Jahr 2021 und folgende für die Gemeinden und den Kanton spürbar sein».

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