Petra und Hans Nüesch leben in einer Fünf-Zimmer-Wohnung in Balgach. Die Wohnung des erfundenen Paars verfügt auch über einen Elektroherd und einen Tumbler. Nächstes Jahr wird die Kilowattstunde für Petra und Hans rund 18 Rappen teurer als noch im Jahr 2022 und fast 36 Rappen kosten – eine Preissteigerung von 101 Prozent. Eine Familie in Walzenhausen mit einer vergleichbaren Wohnung und denselben Elektrogeräten muss eine geringere Preiserhöhung hinnehmen: Für sie wird die Kilowattstunde nur rund einen Rappen teurer und 25 Rappen kosten. Wie kommt es zu diesem Unterschied?Die Stromtarife der Gemeinden hängen unter anderem vom Beschaffungsmodell sowie den Strompreisen zum Einkaufszeitpunkt ab. In Balgach zeigt sich das so: Die Gemeinde hat 2020 in einer Einmalbeschaffung den Strom für die Jahre 2021 und 2022 gekauft – von einer Energiekrise war noch nichts zu ahnen. «Wir beschafften den Strom damals zu einem günstigen Zeitpunkt», sagt Gemeindepräsidentin Silvia Troxler. Tatsächlich ist Balgach mit rund 18 Rappen pro Kilowattstunde im laufenden Jahr noch eine der günstigsten Gemeinden im Rheintal. Zeitpunkt des Stromeinkaufs wichtiger als je zuvorDie Gemeinde Balgach hat 2021 wegen Vorgaben der Wettbewerbskommission (Weko) seine Einkaufsstrategie gewechselt: Statt auf Einmalkäufe zu setzen, verfolgt die Gemeinde eine strukturierte Einkaufsstrategie. Das heisst, die Gemeinde kauft den Strom über einen längeren Zeitraum in mehreren Etappen ein. Den Stromtarif bildet dann ein Durchschnittspreis, der sich aus diesen Einkäufen ergibt. Die Strategie hat den Vorteil, dass sich Preisschwankungen in gewissem Masse glätten lassen. Aktuell ist der Einfluss des Zeitpunkts von Stromeinkäufen auf den Stromtarif aber viel grösser. Er ist gar so wichtig wie kaum zuvor.Dies bestätigt auf Anfrage auch die Elektrizitätskommission des Bundes (Elcom). Sie beaufsichtigt die Strompreise. Balgach beschaffte den Strom nach dem Strategiewechsel zwischen August 2021 und Mitte 2022. In dieser Zeit stieg der Strompreis stetig und schoss mit dem Beginn der Energiekrise weiter in die Höhe. Der Kauf in dieser Phase schlägt sich im Stromtarif für 2023 nieder.Gleiche Strategie, tieferer StromtarifWie der Einkaufszeitpunkt aktuell den Stromtarif verändern kann, zeigt sich auch in Walzenhausen. Die Gemeinde hat den kleinsten Preisanstieg im Rheintal und im Vorderland. Gerade einmal 4,4 Prozent wird der Strom teurer, was in absoluten Zahlen einem Rappen pro Kilowattstunde entspricht. Walzenhausen stieg schon 2019 auf eine strukturierte Beschaffungsstrategie um. Darum sei die Preiserhöhung in Walzenhausen so milde ausgefallen, sagt Daniel Frunz, Geschäftsführer der Elektra Walzenhausen. Die Verantwortlichen der Elektra wählten damals ein Strompaket, das auch das Jahr 2023 einschliesst. Frunz sagt: «Bei einem Absinken der Strompreise, hätten wir nächstes Jahr vielleicht den höchsten Tarif von allen im Rheintal. Gemeinden mit einer kurzfristig angelegten Strategie hätten schnell günstigen Strom einkaufen können.» Die Erleichterung in der Vorderländer Gemeinde war gross. Gemeindepräsident Michael Litscher sagt: «Die Unternehmen und die Privathaushalten atmeten im Kollektiv auf, nachdem die nur leichte Preiserhöhung für nächstes Jahr feststand.»Rheintaler Strom wird gut 10 Rappen teurerIm Durchschnitt steigt der Preis pro Kilowattstunde bei den Rheintaler und Vorderländer Elektrizitätsbetrieben und Gemeinden um 9,8 Rappen. Nach Balgach müssen die Gemeinden Au und Thal die stärkste Preiserhöhung im Rheintal hinnehmen: In Thal stieg der Tarif um gut 10 Rappen, in Au um 11 Rappen pro Kilowattstunde. Im Vorderland sind die Preiserhöhungen bei manchen Elektrizitätsbetrieben noch markanter. Doch wer die höchste Preissteigerung hat, ist nicht unbedingt am teuersten: Bei der Elektrokorporation Schachen-Reute betrug die Preissteigerung 91 Prozent. Sie liegt somit zwar unter der 101-Prozent-Steigerung von Balgach. Dennoch ist die Kilowattstunde der Elektrokorporation Schachen-Reute mit 48 Rappen teurer als jene der Gemeinde Balgach. Die geringere Steigerung lässt sich auch damit erklären, dass die Elektrokorperation Schachen-Reute schon vor dem Preisanstieg den höheren Stromtarif als Balgach hatte.Das Balger Ehepaar Nüesch wird nächstes Jahr total 1623 Franken für seinen Stromverbrauch bezahlen. Also rund 400 Franken mehr als ein ähnlicher Schweizer Haushalt, wie aus einem Beispiel der Elcom hervorgeht. Die markanten Preisunterschiede könnten aber ein vorübergehendes Phänomen bleiben: Erwartbar ist, dass sich die Tarife in den nächsten Jahren angleichen werden. Davon geht auch Silvia Troxler aus.