25.01.2021

Ausserrhoden ist 266 Jahre im Rückstand

Der Kanton nutzt das Potenzial für Solarstrom schlecht. Am besten schneidet noch Gais ab, am Schluss der Tabelle liegt Wolfhalden.

Von Jesko Calderara
aktualisiert am 03.11.2022
Die Hoffnungen könnten grösser kaum sein. Bis 2035 sollen mindestens 40 Prozent des in Ausserrhoden verbrauchten Stroms im Kanton selbst aus erneuerbaren Energien erzeugt werden – ein Grossteil davon mit Fotovoltaik. Ob dieses Ziel ins Energiegesetz aufgenommen wird, entscheidet der Kantonsrat am 22. Februar. Auch der Regierungsrat sieht das grösste Potenzial auf den Hausdächern, wie es im Energiekonzept 2017–2025 heisst. Demnach könnte die Sonnenenergie jährlich 60 Prozent an den Ausserrhoder Strombedarf beitragen.Davon ist der Kanton allerdings noch weit entfernt, wie die Solaranalyse des WWF zeigt. Die entsprechenden Daten sind auf der Plattform Swiss Energy Planning (SEP) ausgewertet worden. Zudem hat Energie Schweiz, das nationale Programm zur Realisierung der schweizerischen Energie- und Klimaziele, die Studie unterstützt. Deren Fazit: Beim Zubau von Solarstrom liegt Ausserrhoden im Ranking aller Kantone an 12. Stelle und somit sogar unter dem Schweizer Durchschnitt. Würde sich das Ausserrhoder Wachstum im Rahmen der vergangenen Jahre bewegen, wäre das Fotovoltaikpotenzial auf Dächern (siehe Kasten) erst in 266 Jahren ausgeschöpft.Schweizweit beträgt diese Kennzahl 262 Jahre. Deutlich besser steht in dieser Hinsicht Innerrhoden da. Mit 188 Jahren belegt der Nachbarkanton den vierten Platz. Der schleppende Ausbau beim Solarstrom könnte für die Schweiz Folgen haben. «Die momentanen Zuwachsraten genügen nicht einmal, um die Zwischenziele der Energiestrategie 2050 zu erreichen», sagt Myriam Planzer, Projektleiterin Energiewende beim WWF Schweiz. Man habe mit diesem Tempo schon gar keine Chance, ambitioniertere Ziele wie beispielsweise Netto-null-Emissionen bis 2050 zu erreichen. Wegen der Klimakrise brauche es daher weiterhin Pioniergemeinden und Kantone, die ihren Ausbau massiv beschleunigen, sagt Planzer.Wolfhalden hat 2020 Boden gutgemacht Grosse Unterschiede gibt es nicht nur unter den Kantonen, sondern auch zwischen den Gemeinden. Spitzenreiter in Innerrhoden ist Oberegg, in Ausserrhoden hat dagegen Gais die Nase vorn. Doch selbst in der Mittelländer Gemeinde wird erst knapp acht Prozent des Solarpotenzials ausgeschöpft, das technisch und wirtschaftlich vorhanden wäre. Ernst Koller ist stolz über die gute Klassierung seiner Gemeinde. Gleichzeitig hält der Gaiser Gemeindepräsident deren Aussagekraft aber für begrenzt: «Unseren Platz muss ich tendenziell dem Zufall zuordnen.» Denn ein eigentliches Unterstützungsprogramm für das Thema erneuerbare Energien gibt es in Gais nicht. Bei der Sanierung der eigenen Liegenschaften werde aber analysiert und umgesetzt, was in dieser Hinsicht möglich sei, sagt Koller. Der Landwirt geht abgesehen davon privat mit gutem Beispiel voran. Bereits vor zehn Jahren hat er auf seiner Scheune ungefähr 300 Quadratmeter Panels montiert. Das Schlusslicht in Ausserrhoden bildet Wolfhalden, wo gerade einmal knapp 1,8 Prozent des Potenzials auf Dächern genutzt wird. Gemeindepräsident Gino Pauletti relativiert diese Klassierung jedoch und verweist auf die neusten Zahlen. Demnach ist 2020 in Wolfhalden auffallend viel Fotovoltaikleistung installiert worden. Das letztjährige Wachstum beträgt gemäss Pauletti gegenüber 2019 rund 82 Prozent. Zurzeit sind in der Gemeinde 50 Anlagen in Betrieb. Pauletti verweist in diesem Zusammenhang auf die bis zu 70 Gebäude, die sich für die Nutzung der Sonnenenergie kaum eignen. Er vermutet zudem, dass Hausbesitzer erst dann in Fotovoltaik investieren, wenn eine Dachsanierung ansteht. Das kantonale Energiegesetz macht dazu allerdings keine Vorgaben – auch bei Neubauten nicht. Es könnte aber noch andere Gründe geben, warum Wolfhalden bei den erneuerbaren Energien hinterherhinkt. So macht die Vorderländer Gemeinde etwa bei der Energieregion Appenzellerland über dem Bodensee (AÜB) nicht mit. Zudem sorgte 2012 das Projekt, auf dem Dach der Kirche eine Solaranlage zu bauen, für Widerstand in Teilen der Bevölkerung, beim Heimatschutz und dem damaligen Denkmalpfleger. Solche Vorhaben hält Werner Rüegg, Präsident der Energieregion AÜB, aber für wichtig. Er sagt: «Ich bin überzeugt, dass die öffentliche Hand vorangehen muss.» Danach könnten Private mit Beratung und Unterstützung ebenfalls ermutigt werden, zu investieren. Grosse Bedeutung von Solarpionieren Ähnlich beurteilen dies die Autoren der WWF-Studie. Sie haben zwar ebenfalls keine abschliessende Erklärung dafür, warum es in der Schweiz bei der Nutzung der Fotovoltaik solch grosse Unterschiede gibt. Es zeige sich jedoch, dass in den vorbildlichen Kantonen und Gemeinden engagierte Solarpioniere, ein attraktiver Rückliefertarif für die Einspeisung ins Netz und ein unkomplizierter Zugang zu Fördermitteln den Ausschlag geben, sagt Myriam Planzer. Ihrer Ansicht nach könnte Letzterer Punkt erklären, warum Innerrhoden besser dasteht als der Appenzeller Nachbarkanton. So hat Ausserrhoden 2018 gemäss dem WWF-Kantonsrating zur Klimapolitik im Bereich Gebäude 38.70 Franken je Einwohner Fördergelder zur Steigerung der Energieeffizienz und für erneuerbare Energien gesprochen. Demgegenüber waren es in Innerrhoden 60.50 Franken.  Es sind noch genügend moderne Dächer vorhanden Dagegen hält Planzer für unwahrscheinlich, dass die alte Bausubstanz im Kanton ein Grund für das schlechte Abschneiden ist. Man stehe bei der Ausnutzung der Solarenergie erst am Anfang. «Somit gibt es noch genügend geeignete, moderne Dächer.» In gewissen Fällen könne eine in die Jahre gekommene Substanz den Aufwand vergrössern, da zuerst das Dach erneuert werden müsste, sagt sie. «Für das Klima wäre dies hingegen gleich doppelt wirksam, weil damit eine energetische Sanierung verbunden wäre.» 

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