11.02.2022

Aus Wut schluckte sie Scherben

Eine Brandstifterin wehrt sich vor dem St. Galler Kantonsgericht erfolgreich gegen eine Verwahrung.

Von Claudia Schmid
aktualisiert am 02.11.2022
Das Kreisgericht Rheintal hatte eine Frau im August 2016 wegen mehrfacher vollendeter Brandstiftung und des Versuchs dazu schuldig gesprochen und sie zu einer stationären therapeutischen Massnahme verurteilt. Im Massnahmenvollzug kam es erneut zur Brandlegung, weshalb sie sich vor dem Kreisgericht Wil verantworten musste und wieder einen Schuldspruch wegen Brandstiftung erhielt. Auch verletzte sich die Frau selber, indem sie beispielsweise Scherben schluckte.Selbstverletzung ausVerzweiflungIm Mai 2021 lehnte das Sicherheits- und Justizdepartement die bedingte Entlassung der Verurteilten aus der stationären therapeutischen Massnahme ab und stellte dem Kantonsgericht den Antrag, die Verurteilte sei zu verwahren. Bis zu einem rechtsgültigen Urteil blieb die Frau in Sicherheitshaft.Im Juli des vergangenen Jahres betonte sie am Kantonsgericht, ihr grösster Wunsch sei es, wie früher bei ihrer Familie zu leben und mit Tieren zu arbeiten. Sie habe sich nur selber verletzt, weil ihr das Leben in der therapeutischen Einrichtung überhaupt nicht gefalle. So habe sie aus Wut und Trauer Scherben geschluckt. Das Gericht fällte damals noch keinen Entscheid, sondern ordnete eine erneute psychiatrische Begutachtung der Verurteilten an.Rückfallgefahr lautGutachten wahrscheinlichNachdem das Gutachten vorlag, wurde die Gerichtsverhandlung ohne die Anwesenheit der 30-Jährigen fortgesetzt und die Fachärztin zu ihren Ausführungen befragt. Sie erklärte, die Beschuldigte leide unter einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen und dissozialen Zügen, einer Pyromanie, einer Schwerhörigkeit, einem elektiven Mutismus und einer Nikotinabhängigkeit.In Bezug auf die Rückfallgefahr seien mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere Brandstiftungen und mit mittlerer Wahrscheinlichkeit andere Delikte zu erwarten. Vorstellbar seien manipulativ-rachsüchtige Handlungen wie falsche Alarmierungen von Blaulichtorganisationen oder Sachbeschädigungen. Auch sei eine ausgeprägte Selbstgefährdung gegeben.Bei Brandstiftungen wurde niemand verletztDie Staatsanwältin plädierte aufgrund des Gutachtens für eine Verwahrung der Frau. Durch die Rückfallgefahr sei sie eine Gefahr für die Allgemeinheit. Sechs Jahre Therapie hätten keine Wirkung gezeigt. Es sei davon auszugehen, dass auch weitere Therapien nicht zielführend wirkten. Es sei zwar sehr traurig, doch führe kein Weg an einer Verwahrung vorbei.Der Verteidiger plädierte hingegen auf Abweisung des Antrags. Es könne nicht sein, dass eine erst 30-jährige Frau ihr Leben lang weggesperrt werde. Für sie gehe es bei diesem Entscheid um nicht weniger als die persönliche Freiheit. Sie sei bedingt zu entlassen, allenfalls eine ambulante Massnahme vorzusehen und Bewährungshilfe anzuordnen. Der Verteidiger erinnerte daran, dass bei den Brandstiftungen niemand verletzt worden sei. Auch widersprach er der Meinung der Anklage, die Frau habe keinerlei Fortschritte in der Therapie gemacht.ErwachsenenschutzvordringlichNun hat das Kantonsgericht St. Gallen seinen Entscheid schriftlich bekannt gegeben und begründet. Es wird keine Verwahrung angeordnet und die Frau aus der Sicherheitshaft entlassen. Die Verfahrenskosten von rund 12 500 Franken trägt der Staat. Ausserdem zahlt der Staat der Frau eine Genugtuung von 41 400 Franken. Weil die Strafkammer des Kantonsgerichts aber eine Massnahme des Erwachsenenschutzes für dringend angezeigt hält, machte sie der zuständigen Kesb eine entsprechende Mitteilung. Massnahmen des Erwachsenenschutzes sind zum Beispiel die Beistandschaft oder die fürsorgerische Unterbringung.In der Begründung des Entscheides hält das Kantonsgericht fest, dass eine Verwahrung als «Ultima Ratio» nur unter qualifizierten Voraussetzungen möglich ist. Es müsse sich um «schwere Straftaten» handeln, «durch die der Täter die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer anderen Person ‹schwer› beeinträchtigte oder beeinträchtigen wollte». Dies aber sei bei den einfachen Brandstiftungen, welche die Frau verübt habe, nicht der Fall.Weil laut Gutachten keine Therapiefähigkeit bestehe, seien auch die Voraussetzungen einer anderen ambulanten oder stationären Massnahme nicht erfüllt.

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