14.01.2022

Aus christlicher Sicht: Winterliches Gezwitscher

Frühmorgens und in den Abendstunden hören wir sie wieder zwitschern. Sie sitzen auf Ästen, in Sträuchern und auf Dachgiebeln: Unsere Singvögel melden sich nach monatelanger Pause wieder zu Wort – oder besser zu Gesang. Mitten im Winter erheben sie ihre Stimmen und verschaffen sich Gehör.

Von Sabine Gritzner-Stoffers
aktualisiert am 02.11.2022
Selten habe ich ihr Gezwitscher so wohltuend erlebt wie in diesem Jahr. Da klingt etwas herüber von den verlässlichen Abläufen der Jahreszeiten und des Lebens. Wie eine sichere Konstante in einer Zeit, in der man frei nach Brechts Lob der Dialektik «Das Sichere ist nicht sicher» immer wieder den Eindruck gewinnt, dass das einzig Sichere die Unsicherheit ist. Eine Zumutung ist das, keine Frage. Vor allem für uns sicherheitsverwöhnte Menschen in Europa. Wir haben uns so sehr an unser planbares, sicheres und versichertes Leben gewöhnt, dass wir grosse Mühe haben, mit der gegenwärtigen Situation umzugehen. Die Vögel singen trotzdem. Sie scheren sich nicht um die Umstände, die uns Menschen in diesen Tagen lästigerweise noch immer beschäftigen. Nun könnte man natürlich einwenden, dass es keine grosse Kunst ist, fröhlich zu singen, wenn einen die Umstände nicht betreffen. Aber ganz so einfach ist die Sache nicht vom Tisch. Interessant ist nämlich, dass die Vögel zu einem Zeitpunkt wieder singen, von dem sie eigentlich aufgrund jahrelanger Erfahrung wissen müssten, dass es nochmals schneien wird. Dass der Winter und damit die Tage der Futterkargheit und Kälte keineswegs vorbei sind. Selbst die Verän­derungen, die die Erderwärmung mit sich bringen, haben es noch nicht geschafft, dem Winter Anfang Januar ein Ende zu setzen. All das hindert die Vögel nicht daran, fröhlich zu zwitschern. Man kann das für naiv und sinnlos halten. Man kann das winterliche Gezwitscher aber auch als Ausdruck trotzigen Vertrauens hören: Angesichts misslicher Umstände singen die Vögel trotzdem und erwarten den Frühling mit seiner Wärme und einem reichen Angebot an Futter. Die kleinen Gesellen üben sich in Gelassenheit und wenn man das Gezwitscher hört, hat man den Eindruck, sie haben auch noch Spass daran.Jesus hat einmal gesagt, dass wir auf Gott vertrauen sollen wie die Vögel unter dem Himmel (Markus 6, 26). Wie gut tut das fröhliche und muntere Gezwitscher der kleinen gefiederten Sängerinnen und Sänger! Ich höre darin eine Botschaft für meinen Glauben: Das Versprechen Gottes, dass er seine Welt nicht sich selbst überlässt, dass Neues wächst und dass Gott mit uns geht in das neue Jahr. Sabine Gritzner-Stoffers, Pfarrerin in Heerbrugg

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