27.11.2020

Aus christlicher Sicht: So hatten wir es nicht erwartet

Erster Adventssonntag. Innerlich richten wir uns auf Weihnachten aus. Ob wir bewusst mit dem Kirchenjahr leben oder nicht, Weihnachten bleibt ein besonderes Fest. Die Tage des Advents versetzen uns in eine Haltung des Erwartens.

Von Ingrid Grave, Dominikanerin in Zürich
aktualisiert am 03.11.2022
So war es auch gedacht in der kirchlichen Tradition: Wir dürfen uns vorbereiten auf die Ankunft eines Kindes, eines besonderen Kindes. Dieses Erhoffen schwingt irgendwie in unserer Seele mit beim Einkaufen von Geschenken, beim Anzünden von Kerzen, beim Anblick beleuchteter Weihnachtsbäume. Doch in diesem Dezember wird vieles anders sein als erwartet. Statt uns in der Vorfreude auf das Fest gegenseitig herzlich zu begrüssen, gehen wir auf Distanz. So hatten wir es nicht erwartet. Wir hofften auf mehr Entspannung zum Winter hin. Vor 2000 Jahren wussten die Menschen nichts von der Geburt eines besonderen Kindes. Wohl aber nährte sich das Judentum in seinen Sehnsüchten für eine bessere Welt aus der Verheissung auf einen Messias, einen Heilsbringer. Die Vorstellungen davon, in welcher Weise er auftreten und handeln würde, waren dem Wechsel unterworfen. Zur Zeit Jesu stellte man sich einen politischen Befreier vor, denn das jüdische Volk litt und ächzte unter der Last der römischen Besatzungsmacht.   Als nun derjenige geboren wurde, von dem wir im Christentum sagen, dass er der verheissene Messias ist, nahm kaum jemand Notiz von ihm. So hatten sie ihn nicht erwartet.  Auch seine Eltern nicht. Das lässt sich aus den biblischen Berichten herauslesen.Advent und Weihnachten unter dem Zepter von Corona. So hatten wir es nicht erwartet.  Der erwachsene Jesus wurde für viele ein Stein, an dem sie sich stiessen. Er entsprach nicht ihren Erwartungen.  Das Virus hat nichts von einem Messias. Doch es wird für uns – para­doxerweise – zu einem Stein des Anstosses. Seit Wochen und Monaten. In unserer heimlichen Heilssehnsucht setzen wir kaum auf einen Messias. Viele von uns brauchen auch keinen Gott, und schon gar nicht einen Gottessohn. Der moderne Mensch nimmt sein Schicksal selbst in die Hand! Ja?Das stetige sich stossen an den Steinen, die Corona uns in den Weg legt, könnte die verschüttete göttlich fantasievolle Kraftquelle in uns neu zum Fliessen  bringen. Für den Start in eine Zeit grösserer Achtsamkeit. Ein Hoffnungsfunke.  

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