07.05.2021

Aus christlicher Sicht: Schweigen, um zu hören

Können wir heute noch beten – mitten in der Coronapandemie? Mitten im Chaos unserer Welt? Vielen Menschen fehlen die Worte.

Von Philipp Hautle
aktualisiert am 03.11.2022
Formulierte Gebete stimmen für viele nicht mehr. Zu gross sind die Not, die Ängste, die Unruhe. Zu viele Fragen an Gott sind unbeantwortet.Es tut mir gut, mich in die Stube oder in eine Kirche zu setzen und einfach zu hören. Hineinzuhören in die Stille. Hineinzuhören in das Ganze, in dem wir nur ein winziges Staubkörnchen sind. Hineinzuhören in das unheimliche Geheimnis, in dem wir daheim sind. Hineinzuhören in das, was wir so selbstverständlich «Gott» nennen und doch so fragwürdig ist.Wenn ich so dasitze und hineinhöre, kommen natürlich immer wieder Gedanken, Bilder, Gefühle, Fragen und Regungen in mir auf. Ich lasse sie – ohne sie zu bekämpfen. Und bemerke, dass sie auch wieder verschwinden. Wiederkommen und wieder verschwinden.Ich höre hinein. Erinnere mich an das Schriftwort des Matthäus (Mt. 6,6ff): «Du aber, wenn du betest, geh in deine Kammer, schliess die Tür zu; dann bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist! Dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten. Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden, die meinen, sie werden nur erhört, wenn sie viele Worte machen. Macht es nicht wie sie; denn euer Vater weiss, was ihr braucht, noch ehe ihr ihn bittet.» So hat wohl Jesus gebetet. Es wird von ihm berichtet, er sei oft frühmorgens zum Gebet in die Stille gegangen. Oder ich erinnere mich an den Gedanken des dänischen Philosophen Sören Kierkgaard (1813 bis 1855):BetenAls mein Gebet immer andächtiger und innerlicher wurde, da hatte ich immer weniger und weniger zu sagen. Zuletzt wurde ich ganz still.Ich wurde, was womöglich noch ein grösserer Gegensatz zum Reden ist, ich wurde ein Hörer.Ich meinte erst, Beten sei Reden. Ich lernte aber, dass Beten nicht bloss Schweigen ist, sondern hören.So ist es: Beten heisst nicht sich selbst reden hören. Beten heisst: Still werden und warten, bis der Betende Gott hört.Solches Hören tut meiner Seele gut. Nicht, dass ich das Geheimnis Gottes und seinen Willen oder das Schicksal oder wie wir es nennen, verstehe. Aber seltsamerweise – mir wird Zuversicht und Kraft zum alltäglichen Ja geschenkt. Und nicht zuletzt glaube ich: Alles Beten mit Worten, alles gemeinsame Singen und Beten bekommt durch das Gebet des Hörens einen anderen Klang. 

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