16.07.2021

Aus christlicher Sicht: «Nicht wahr, Sie glauben ja an Gott?»

Von Ingrid Grave
aktualisiert am 03.11.2022
Hin und wieder passiert es mir, dass Menschen mich so ansprechen. Seltsamerweise ist mir das jedes Mal etwas peinlich. Warum eigentlich? Sehe ich so «fromm» aus? Fromm aussehen, dem haftet etwas Negatives an, denn einfach so an Gott glauben, das ist doch naiv! Genau dieses Bild möchte ich nicht abgeben.Manchmal bin ich versucht, zurückzufragen: Was meinen Sie denn, wie ich mir diesen Gott vorstelle?Ja, wie stelle ich mir Gott vor, wenn ich schon an seine Existenz glaube? Im Judentum gibt es die Weisung: Du sollst dir von Gott kein Bild machen. Hinter ihr steckt eine tiefe Weisheit, denn Gott übersteigt alle unsere Vorstellungen.Folglich kann auch die Kunst ihn nicht wirklich darstellen. Jede Darstellung bleibt – bei aller künstlerisch hohen Qualität – ein Versuch der Annäherung an ein Geheimnis. Wir alle machen uns Bilder von Gott, ob wir an ihn glauben oder nicht. Wir kreieren diese Vorstellungen im Kopf. Denn wir Menschen denken ganz stark in Bildern.Und ich meine, wir müssen uns das auch gar nicht abgewöhnen. Denn wie wollen wir von Gott reden, wenn wir so gar keine Vorstellung von ihm haben? Zurück zur Frage, wie ich mir Gott vorstelle: Als Kind stellte ich mir Gott so vor, wie er mir von den Erwachsenen nahegebracht worden war: Im Himmel, sitzend auf einem Thron, hinabblickend auf die Erde mit ihren vielen Menschen; er kannte sie alle. Dieses kindliche Bild hat im Laufe meines Lebens eine enorme Veränderung erfahren. Zum Glück und Gott sei Dank! Doch eins ist geblieben, nämlich der Glaube daran, dass er uns alle kennt, auch mich.Ich glaube nicht, dass ich ein Zufallsprodukt bin, entstanden aus einer Laune der Natur. Und wenn es wirklich eine Laune der Natur war, dann steht für mich hinter dieser Laune eine unvorstellbare Intelligenz. Sie versteht es, Wesen mit hoher Intelligenz zu schaffen, nämlich uns Menschen. Gott, ein Künstler! Und kein Kunstwerk gleicht dem anderen! Keine Serienproduktion!Doch die Intelligenz ist noch nicht alles. Wir sind – das scheint mir das Grösste zu sein – mit Liebesfähigkeit ausgestattet. Das haben wir vom Künstler Gott, dem Gott der Liebe, mitbekommen. Was wir daraus machen, das ist dann unsere Sache.Diese Gabe der Liebesfähigkeit ist so weitreichend, dass wir sogar feindlich gesinnten Mitmenschen wohlwollend begegnen können. Ohne sie endgültig zu verurteilen.Das ist die Hochform der Liebe. Warum sollte ich nicht an einen solchen Gott glauben, mir und allen Menschen zuliebe?Ingrid GraveDominikanerin von Ilanz

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