29.10.2021

Aus christlicher Sicht: Beschützer und Berater

Von Ingrid Grave
aktualisiert am 03.11.2022
Es gibt Menschen, die wollen Engel gesehen haben. Ich gehöre nicht zu ihnen. Trotzdem: Engel beschäftigen mich. Das liegt zu einem guten Teil daran, dass ich in meiner täglichen Bibellesung unversehens so manchem Engel begegnet bin.In den ganz alten religiösen Traditionen muss es ein Wissen über die Existenz von Engeln gegeben haben. Das biblische Buch Numeri aus der ganz frühen Zeit Israels erwähnt einen Seher namens Bileam (Num 22), dessen Inneres ganz auf Gott ausgerichtet war. Während er auf seiner Eselin reitet, mit einer Botschaft unterwegs, jedoch zu einem falschen Ziel, da tritt ein Engel auf den Weg. Die Eselin erkennt ihn. Trotz der Schläge Bileams bleibt sie störrisch, bis schliesslich Bileam selbst den Engel erkennt, der ihm im Auftrag Gottes Umkehr befiehlt.Beim ersten Lesen des Textes bin ich über die Eselin gestolpert. Können Tiere einen Engel sehen, bevor der Mensch ihn wahrnimmt? Ich bezweifle es. Doch die Erfahrung lehrt uns, dass Tiere oftmals die richtige Richtung genauer erspüren, als wir es vermögen. Das zwingt mir Respekt ab vor dem Tier, das – wie ich – ein Teil der gottgegebenen Schöpfung ist.In einer weiteren Geschichte heuert der junge Tobias (Tobit 1 – 12) für eine bevorstehende gefahrvolle Reise auf dem Markt einen Reisebegleiter an – und findet ihn. Während Wochen sind sie unterwegs. Der Begleiter erweist sich je nach Situation als Beschützer oder Berater, sogar in der Brautwerbung. Als Tobias endlich mit der Braut und ihrer Ausstattung sein Elternhaus erreicht, soll der Reisebegleiter entlöhnt werden. Da offenbart er sich als Engel namens Rafael (12, 15), einer von sieben weiteren Engeln, die das Beten der Menschen vor Gott tragen. So sagt es der Text. Die Bibel ist voll von solch tröstlichen Erzählungen. Gut für Kinder als Gute-Nacht-Geschichten? Ich denke, diese Deutung greift zu kurz. Möglicherweise stehen die einzelnen Engel für die vielfältigen Kraftströme, die von Gott ausgehen, sofern wir uns dafür öffnen. Seit Jahren erfahren Engel in unserer Gesellschaft einen Boom. Oftmals jedoch in einer Niedlichkeit, die an die wahre Kraft dieser Wesen wohl kaum herankommt. Warum soll es die Engel nicht geben? Ich bin offen für die Möglichkeit ihrer Existenz. Und falls es sie nicht gibt, warum sagen wir dann spontan zu einem Menschen, der sich uns gegenüber als besonders fürsorglich erwiesen hat: Du bist ein Engel?Ingrid Grave, Dominikanerin von Ilanz

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