24.02.2020

«Auf jedem Foto sind wir weniger»

Das hohe Durchschnittsalter im Widnauer Männerchor führte schon zur Bemerkung: «Ehr sind au fängs alt.»

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Gert BrudererEs war an einem Sängerfest, als Urs Buschor dies hörte. Der ehemalige Präsident, der den Verein mit Unterbruch zweimal während je sieben Jahren führte, lächelt milde.Schliesslich trifft es zu. «Wir sind ja wirklich schon recht alt.»Bei 72 Jahren liegt das Durchschnittsalter. Von einem Neuen wird es «echli abetruckt».Dieser Neue, Rolf Glaus, ist der Jüngste, aber auch bereits ein Rentner. Letzten Monat trat er dem Verein bei, nachdem er sein Mitwirken vor einigen Jahren in Aussicht gestellt hatte.Der älteste Sänger ist mit 81 Alexander Rebholz, erster Tenor und Solist. Auch der frühere Vereinspräsident Hanspeter Hüppi, Mitglied seit 1960, wird dieses Jahr den 81. Geburtstag feiern können.Es ist nun mal, wie es istZeigt Urs Buschor in chronologischer Reihenfolge Fotos von Sängerfesten und anderen Anlässen, fällt auf, dass die Zahl der Abgebildeten kontinuierlich sank.Am Schweizerischen Sängerfest 2008 in Weinfelden posierten 34 Sänger für das Foto, dabei fehlten sogar zwei. Drei Jahre später, am kantonalen Gesangsfest in Rebstein und Marbach, standen noch immer 36 Widnauer auf der Bühne.Das 2017 entstandene Bild vom 150-Jahr-Jubiläum zeigt knapp 30 Sänger, 22 sind es heute.Zwar leidet der Chorklang, wenn einzelne Stimmen unterbesetzt sind. Urs Buschor sagt: «Zumindest 20 Sänger sollten es schon sein, aber das ist meine persönliche und nicht amtlich beglaubigte Meinung.»Sorgen macht der Chor sich keine, wobei mit der eigenen Unbeschwertheit eine fatalistische Haltung einherzugehen scheint. Es ist nun mal, wie es ist.Festgeschrieben ist eine Mindestzahl nirgends. Auch eine singende Zwölfergruppe kann Eindruck machen. Sind es wirklich lauter gute Sänger, kann ihre Darbietung ebenfalls raumfüllend sein.Zudem ist es Männerchören freigestellt, für ein Konzert mit einem anderen Verein zusammenzuspannen, wie der Männerchor Widnau es dieses Jahr tut.Nachdem er schon vor ein paar Jahren mit den Kobelwäldern zwei Konzerte gab, steht er dieses Jahr beim Adventskonzert zusammen mit dem Männerchor Heerbrugg auf der Bühne. Die insgesamt gut 40 Sänger proben abwechselnd in Widnau und Heerbrugg.Die Zielgruppe ist fünfzig plusAls Urs Buschor 1972 dem Widnauer Männerchor beitrat, war er dreissig, und das Durchschnittsalter lag bei vierzig. In der langen Zeit seither ist durch die enge Verbundenheit der Sänger ein starker Gemeinsinn herangereift. So sind nicht nur Auftritte wie die Matinee oder das Adventskonzert bis heute ein fester Bestandteil des Jahresprogramms, sondern ebenso die gemeinsame Reise.Versuche, mit einer Trendwende zahlenmässig wieder zu erstarken, gab es mehrere.Der gezielten Mitgliederwerbung in persönlichen Gesprächen folgte die Einladung an neu Pensionierte, samt Angebot für einen Fahrdienst, aber der Erfolg blieb aus. Null Echo habe es gegeben, sagt Urs Buschor.Ebenso wenig war der Idee, Senioren-Fussballer fürs Singen zu gewinnen, Erfolg beschieden. Dabei singen die doch gern beim Duschen, dürfte die landläufige Einschätzung lauten.Wen immer der Männerchor zum Mitmachen ermuntert, die Zielgruppe ist stets fünfzig plus. Illusionen macht sich schliesslich keiner.Anderseits sollte sich kein leidenschaftlich Singender den Kopf zerbrechen, ob er auch im Chorgesang bestehen könnte. Jene Männerchörler, die des Singens ab Blatt kundig sind, sind an einer Hand abzählbar.Für Italiener auf ein Konzert verzichtetDas heisst, es braucht nur Freude und den Willen, jeden Mittwoch zu erscheinen, aber keine Notenkenntnis oder Chorerfahrung. Neulingen werden erfahrene Sänger zur Seite gestellt. Unter der Leitung der gebürtigen Ungarin Marta Flesch, die auch den Männerchor Au Berneck dirigiert, werden die Lieder sorgfältig eingeübt, bis auch vierstimmige Weisen gut sitzen. Ein besonderes Erlebnis, das sogar im «Blick» beschrieben wurde, hatte der Widnauer Männerchor im Jahr 1983. Für ein Konzert im «Metropol» waren be-reits die Plakate gedruckt und alles war vorbereitet, als den Sängern die Strassenradsport-Weltmeisterschaften in Altenrhein in die Quere kamen.Das im Widnauer «Metropol» untergebrachte Team aus Italien fürchtete um seine Nachtruhe vor diesem wichtigen Wettkampf und bot dem Männerchor eine Entschädigung von 7500 Franken, wenn er aufs Konzert verzichte.Die Widnauer, die einen Männerchor aus Kärnten zu Gast hatten, entsprachen dem Wunsch der Italiener, verzichteten auf das Konzert und gingen stattdessen mit ihren österreichischen Gästen auf den St. Anton fein essen.So wie damals sind die frohgemut älter gewordenen Sänger noch heute: unverkrampft, verständnisvoll, beweglich.Ihre Motivation ist immer noch die reine Freude.

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