03.05.2019

«Auf einmal war der Bauch weg»

Sieben Schwangerschaften hatte Nicole Knobelspiess. Zwei ihrer Kinder leben. Die fünf anderen gehören als Sternenkinder auch zu ihrer Familie: Die Mutter erlitt vier Aborte und eine stille Geburt.

Von Monika von der Linden
aktualisiert am 03.11.2022
Monika von der LindenStirbt ein älterer Mensch, können seine Angehörigen und alle, die ihn gekannt haben, in Erinnerungen an ihn schwelgen. Stirbt ein Kind im Mutterleib, bleiben einzig die Erinnerungen an die Schwangerschaft.«Sterben meine Eltern einmal, haben meine beiden Töchter eine gemeinsame Zeit mit ihren Grosseltern gehabt», sagt Nicole Knobelspiess.Die Mädchen sind sechs und drei Jahre alt. Sie haben eine Schwester, die sie nicht kennen gelernt haben. Vor etwa acht Monaten gebar Nicole Knobelspiess Neah in der dreissigsten Schwangerschaftswoche. Sie war eine stille Geburt, war in der 30. Woche im Mutterleib gestorben. Vier weitere Schwangerschaften von Nicole Knobelspiess endeten mit einem Abort.Sprachlosigkeit überwindenNicole Knobelspiess trauert um Neah. Nicht leise und nicht für sich allein. Sie spricht über ihren Verlust, über den Schmerz, den die Familie erleidet. «Es ist die schlimmste Achterbahnfahrt der Gefühle einer Frau, die ihr Kind so gebären muss, wie ich Neah», sagt sie.Besonders schwer fällt es der vierzigjährigen Mutter, dass sie im Dorf den Kontakt zu unerwartet vielen Menschen verloren hat. Nicole Knobelspiess hat manches Mal das Gefühl, geschnitten zu werden. «Auf einmal war mein Bauch weg und ich schob doch keinen Kinderwagen. Einige Bekannte vermeiden den Blickkontakt zu mir.»Wut empfindet sie deshalb nicht, es tut ihr weh. Sie versteht, dass einige Menschen nicht wissen, wie sie ihr begegnen, wie sie mit dem Tod ihres Kindes umgehen sollen. Die in Rebstein aufgewachsene und seit acht Jahren in Balgach lebende Frau wünscht sich, dass mehr ihrer Bekannten ihre Sprachlosigkeit überwinden mögen. «Ich erwarte nicht von jedem Anteilnahme, wünsche mir aber Normalität. Ich möchte weiter die Kollegin sein, die keine Sonderbehandlung benötigt.» Sie möchte wahrgenommen werden. «Dafür bin ich dankbar, weil es mir gut tut.»Wohltuende Begegnungen hat Nicole Knobelspiess auch erlebt. Eine ihrer Kolleginnen war zwar sprachlos, aber sie tröstete allein mit ihrer Gegenwart. «Nur nichts tun hilft nichts.»Ihren Töchtern gegenüber verschweigen die Eltern Neahs Schicksal nicht. Die Mädchen haben mitbekommen, dass etwas mit ihrer Mutter nicht stimmt und sie traurig ist. Wo Mamas Bauch sei, fragte die jüngere Tochter. «Das Kindli darf nicht mit uns gross werden, weil sein Herz aufgehört hat zu schlagen», antwortete sie klar und kindgerecht.Die Offenheit von Nicole Knobelspiess ist wie ein Eisbrecher. Beginnt sie über ihr Schicksal zu sprechen und erzählt, wie es ihr geht, stösst sie vielfach auf positive Resonanz. Die Leute werden offener. Eine Frau hat ihr erzählt, dass sie bereits drei Fehlgeburten erlitten hat. Wie viele Frauen.Das Kind, das Nicole Knobelspiess und ihre Familie haben gehen lassen müssen, soll benannt werden. Es ist Teil der Familie und soll immer anwesend sein. «Deshalb sprechen wir seinen Namen immer wieder aus.»Neahs Andenken gestaltet die Familie in vielerlei Form: Die Urne mit der Asche des Mädchens steht in der Küche. Sie ist aus Glas, Jugi-Leiterinnen haben es bemalt. Auf der Urne geschrieben steht: «Damit euer Stern noch ganz lange weiterleuchtet.» Ein Album liegt neben der Urne. Es enthält Fotografien von Neah, die ihre Schwestern auch dann anschauen können, wenn sie älter sind und die Erinnerung verblasst ist. Fotografiert hat sie ein Profi. Der Verein Herzensbilder hatte ihn beauftragt, die berührenden Erinnerungsbilder von der leblosen Neah und ihren Eltern zu machen. Der ehrenamtliche Einsatz war für die Familie kostenlos.Neben der Urne brennt eine Kerze. Auf Kinderzeichnungen an der Wand ist Neah so zu sehen, wie ihre Schwestern sich ihr Dasein vorstellen.Neah ist Teil der Familie und anwesend.

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