10.03.2020

Auf diese Newcomer sind wir gespannt

Die Blutauffrischung im St. Galler Kantonsparlament bringt vielversprechende Köpfe aus fast allen Parteien – vor allem Frauen. Mit Claudia Graf und Ruedi Mattle sind auch zwei Rheintaler ab dem Sommer neu im Rat.

Von Marcel Elsener und Regula Weik
aktualisiert am 03.11.2022
Ihre Führungsposition schüchtere teils Männer ein, sagte Claudia Graf kürzlich in einer DOK-Sendung über Chefinnen im Schweizer Fernsehen.Im Sommer zieht Graf ins Kantonsparlament ein. Ob sie auch das männerdominierte Gremium das Fürchten lernt? Mit der Freisinnigen nimmt die Wirtschaftskompetenz im Parlament zu: Graf ist Chefin der Rheintaler Brauerei Sonnenbräu AG.Die 34-Jährige verlangt nicht nur viel von sich, sondern auch von ihren Angestellten. Sie sei strenger als der frühere Chef es war, sagen Mitarbeitende. Wem sie im Parlament zu streng oder zu anstrengend ist, der spüle seinen Ärger mit einem Bier hinunter. Wem dies nicht hilft: Sonnenbräu führt auch Whisky. Als Parteiloser auf der Liste der GLP gewählt, verspricht der Altstätter Gemeindepräsident Ruedi Mattle eine pragmatisch umweltbewusste Rheintaler Vertretung im Rat.Dass er halbwegs Ruhe in die immer wieder zerstrittene Politik im Städtchen gebracht und einige schwierige Vorlagen (wie das Asylzentrum) anständig bewältigt hat, kann er sich als Erfolg seiner konzilianten, mitunter gar übervorsichtigen Verwaltungsarbeit gutschreiben lassen.Als Vorstand in den regionalen Vereinen St. Galler Rheintal und Agglomeration Rheintal versteht er sich aufs Netzwerken. Wenn Mattle nicht nur «mit sich reden lässt», wie man in der Region über ihn sagt, sondern weiterhin da und dort auch mal überrascht, wird er eine Bereicherung für den Rat. Weitere Newcomer:Von der Grünliberalen Franziska Cavelti Häller aus Jonschwil hörte ein Grossteil des St. Galler Politpublikums wohl erstmals Ende Februar wegen der sogenannten Flyer-Affäre: Die Druckerei-Unternehmerin wurde von der früheren Wiler GLP-Kantonsrätin Erika Häusermann als «Umweltsünderin» beschimpft, weil sie eigene Wahlwerbezettel gedruckt hatte. Dabei hat sie sich just als Umweltschützerin über ihre Region hinaus einen Namen gemacht: Als dossierfeste Co-Präsidentin im WWF St.Gallen leistet sie seit Jahren solide Arbeit und scheut sich in ihrer wirtschaftlichen Aussensicht nicht vor unangenehmen Themen. Dass die 56-Jährige auch eine gute Kommunikatorin ist, hat sie in ihrer souveränen Reaktion auf die Kritik Häusermanns gezeigt. Fähigkeiten, die dem Kantonsrat nur guttun. Alles andere als eine blasse Figur im Kantonsrat ist der Grüne Michael Sarbach: Der Politikwissenschaftler, Musiklehrer und Gare-de-Lion-Betriebsleiter, mit Jahrgang 1981 noch knapp U40, verspricht allein schon mit seiner nur notdürftig gebändigten Mähne und seinem jugendlichen Kleidungsstil – Kapuzenpullis und Rock-T-Shirts – frischen Wind. Nebst der Umweltpolitik setzt sich der langjährige Wiler Stadtparlamentarier schwergewichtig für die alternative Kultur ein. Doch pflegt er auch populäre Bräuche: Als Herold der Fasnachtsgesellschaft Wil ist Sarbach dem Vernehmen nach eine Wucht. Er diskutiert leidenschaftlich gern und kann auch mal emotional werden. Wer Etrit Hasler im Rat schmerzlich vermissen wird, dürfte sich am ehesten mit dem Wiler Kulturveranstalter trösten.   Der 28-jährige Stadtsanktgaller Andrin Monstein, langjähriger Präsident der JGLP, ist der Inbegriff eines jung-dynamischen Grünliberalen. Die Schwerpunkte des HSG-Studenten in Unternehmensführung und internationalem Management sind Energiewende, Elektromobilität sowie nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Derzeit verfasst er seine Masterarbeit zum Thema CO2-Kompensation am Institut für Wirtschaftsökologie. Monstein, der auch in den USA, Paris und London studierte, könnte zum eloquenten Brückenbauer zwischen linken Umweltpolitikern und rechten Wirtschaftsvertretern werden. Selber kennt er keine Berührungsängste: So arbeitet er nebst seinem Studium bei einer Privatbank, spannt auch mal mit der Juso zusammen und spielt ebenso gern Fussball, wie er Snowboard fährt.Sie war als Regierungskandidatin gehandelt worden, erlag dem Reiz der Pfalz aber nicht. Nun zieht sie doch dort ein – als Kantonsrätin. Monika Scherrer, Gemeindepräsidentin von Degersheim, erlebte innert weniger Stunden eine Nichtwahl und eine Wahl: Sie landete auf dem ersten Ersatzplatz – und rückte wenig später für die neue CVP-Regierungsrätin Susanne Hartmann ins Parlament nach. Scherrer ist von Haus aus Bankerin. Dass sie von Finanzen etwas versteht, erlebt derzeit Degersheim. Sie bringt die Gemeinde Schritt für Schritt auf Kurs und scheut sich dabei nicht, unpopuläre Entscheide zu fällen – das Hallenbad lässt grüssen. Scherrer wird besorgt sein, dass die Staatsfinanzen nicht baden gehen. Wer allzu grosszügig mit Steuergeldern kutschiert, wird sie zur Aussprache ins Kloster Magdenau eingeladen: Sie präsidiert dessen Freundeskreises. Grün und in der Exekutive ist in der Schweiz noch immer eine Ausnahme. Die Jonerin Tanja Zschokke, Jahrgang 1965, verspricht gerade deshalb spannende Impulse im Kantonsrat. Zwar hat sie als Stadträtin in Rapperswil-Jona erst knapp drei Jahre politische Erfahrung, doch umso mehr berufliche und familiäre Praxis hinter sich: Die Mutter von drei erwachsenen Söhnen betreibt mit ihrem Partner Raphael Gloor ein Büro für Landschaftsarchitektur. Angesichts der dringlichen politischen Themen wie Ökologie und Verdichtung in der Raumplanung dürfte Tschokke als Expertin für Grünflächen manche Akzente setzen. Wer mit Maria Pappa zusammensitzt, dem fällt sofort auf: Die Frau lacht gerne und redet schnell. Dabei hätte der St. Galler SP-Stadträtin und Baudirektorin das Lachen bereits mehrfach vergehen können – mit der Neugestaltung des Marktplatzes hatte sie ein zähes Dossier geerbt. Mit Pappa schickt die Stadt eine wirblige Vertreterin ins Kantonsparlament – und eine, die nicht auf den Mund gefallen ist. Das dürfte der eine oder andere Parlamentarier rasch merken und möglicherweise die Nase rümpfen. Sie seien gewarnt: Pappa weiss mit Quenglern und Querschlägern umzugehen. Vor ihrem Einzug ins St. Galler Rathaus leitete sie eine Tagesbetreuung für Schulkinder. Der gemütliche bienenzüchtende Bartträger aus dem Werdenberg ist zurück: Vier Stimmen hatten Hans Oppliger vor vier Jahren zur Wiederwahl gefehlt. Nun schafft er das Comeback – und gleichzeitig auch seine Partei, die EVP. Die Natur kann aufatmen – mit Oppliger hat sie einen Fürsprecher mehr. Doch auch Links-grün kann wohl häufig auf ihn zählen. Energiepolitik und soziale Fragen stehen zuoberst auf seiner Agenda. Gut möglich, dass künftig im Ratsstübli Ribelmais und Bloderkäse angeboten werden. Oppliger, Agronom und Mitarbeiter am Landwirtschaftlichen Zentrum in Salez, weibelt seit Jahren unermüdlich für diese traditionellen Spezialitäten. Sollte das Parlament dereinst gefährdet sein: Oppliger wird sich es schaffen, es als alte Kulturpflanze zu vermarkten – und zu erhalten.   

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