Remo ZollingerIm Proberaum der Ballettschule Rossetti in Au feilen drei Mädchen an ihren Übungen. Lehrerin Veronica Rossetti verfolgt ihre Bewegungen genau, gibt Anweisungen. Sie tut dies oft lachend, wirkt einfühlsam. Aber auch bestimmt. Das entspricht ihrer Philosophie: Ballett darf, soll, ja muss Spass machen. «Wie in allen Kunstdisziplinen ist auch hier die Leidenschaft entscheidend», sagt sie. Das sei aber nicht alles. Auch ein gewisses Mass an Seriosität und Disziplin sei gefragt. Die Lehrerin vergleicht es mit der Musikschule, in der es auch dazu gehöre, auch zu Hause zu üben.In der nächsten Woche treten 52 Mädchen und ein Bub ihrer Schule zu Prüfungen an. Diese sind als Klassenabschluss zu verstehen. Die Ballettschule ist in Klassen (Grades) gegliedert und aufbauend. Die Prüfung sei «sicher nicht ohne», sagt Veronica Rossetti. Im Proberaum hängen Listen mit französischen Ausdrücken. Sie bezeichnen die Figuren, die getanzt werden. An der Prüfung werden Bewegungen abgefragt und müssen ganz nach den Vorgaben gezeigt werden. Die Schülerinnen sind mit der Prüferin allein: Sie reist aus Kanada an, um die Mädchen nach den hohen Standards der Royal Academy of Dance in London zu beurteilen. Nicht einmal die Lehrerin ist bei der Prüfung dabei. Ob die Kandidaten bestanden haben, erfahren sie erst viel später.Ballett ist eine Schule für den ganzen KörperDie Ballettschule Rossetti ist eine Hobbyschule. Hier werden primär keine professionellen Tänzerinnen ausgebildet. Die Schule bietet eine breite Grundausbildung. Veronica Rossetti versteht das klassische Ballett als Ganzkörpertanz, die Schule als Ganzkörperschule. Für die Mädchen ist es zentral, die Balance zwischen Kraft und Grazie zu üben und zu meistern. Beim Tanz sind Aussehen und Ausstrahlung bedeutend. Veronica Rossetti ruft einer Schülerin zu: «Schau in die Luft, schau nach oben, nicht auf den Boden!». Auch zu Beginn jeder neuen Übung muss der Gesichtsausdruck stimmen.Hinter dem anmutigen Tanz steckt auch viel Kraft, «viel körperliche Arbeit», wie die Lehrerin sagt. Besonders in den Füssen, Beinen und am Rumpf sei ein guter Muskelaufbau wichtig. Deshalb nimmt die Schule einen Schritt nach dem anderen: «Es geht nicht darum, dass die Mädchen möglichst schnell auf der Spitze stehen. Wenn wir damit beginnen, müssen sie dazu auch wirklich in der Lage sein», sagt Veronica Rossetti. Auf den Zehenspitzen über die Bühne zu trippeln sei für viele ein Ziel, sie würden sich sehr auf diesen Moment freuen. Aber eben: Alles zu seiner Zeit. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Verletzungen gibt es auch beim Ballett.Nina Thür wird bald professionelle BallerinaDie meisten betreiben Ballett als Hobby. Die acht Grades, die in Au absolviert werden, gehören zur Grundausbildung. Wer mehr will, hat die Möglichkeit, fünf «vocational Syllabus» zu machen. Diese sind für Tänzerinnen und Tänzer gedacht, die eine weiterführende Tanzausbildung in Betracht ziehen. Wie die Altstätterin Nina Thür. Sie beendet im Sommer ihre Ausbildung an der Tanz Akademie Zürich (TAZ) und hat beim Tschechischen Nationalballett ihren ersten Arbeitsvertrag unterzeichnet. Die 18-Jährige wird professionelle Ballerina, sie ist eine von drei Tänzerinnen, die in Prag aus rund 200 Kandidatinnen ausgewählt wurden. Als Profi stehen ihr nun viele Türen offen, Prag ist vielleicht erst der Anfang.«Der Kindheitstraum von der Ballerina ist bei vielen von vier bis sieben Jahren aktuell, dann kommt die Realität», sagt Veronica Rossetti. Umso mehr freut sie sich, dass ihre frühere Schülerin den Weg so erfolgreich gegangen ist. Der Weg ist weit, die Ausbildung an der TAZ umfangreich: Es geht – neben dem Tanz – um Ernährung, Musik, Kunstgeschichte. Und bei weitem nicht jede, die die TAZ abschliesst, findet eine Anstellung als Tänzerin. Die Alternativen heissen Musical, Theater, Zirkus – oder Pädagogik, Lehre. Der TAZ-Abschluss zum Berufstänzer mit eidgenössischem Fachausweis sei hilfreich. Die Ausbildung stehe auf gleicher Stufe wie eine Berufslehre. Das ermögliche auch jenen, die nicht Profis werden, den Berufseinstieg.Talente sind in Zürich und Winterthur zu sehenEinen grossen Auftritt hat Nina Thür bei der TAZ-Galavorstellung «fussspuren XIV». Am Samstag, 30. Juni, 19.30 Uhr, und am Sonntag, 1. Juli, 14.30 Uhr, findet die Gala im Theater Winterthur statt. Am Sonntag, 7. Juli, 11 Uhr, folgt eine weitere Vorstellung im Opernhaus Zürich.Neben Nina Thür wird dort mit Alyssia Caldonazzi eine weitere Rheintalerin zu sehen sein. Die Hinterforsterin befindet sich derzeit in der Ausbildung an der TAZ und ist eines der wenigen Mädchen, die erst spät mit Ballett angefangen haben: Sie kam mit zwölf Jahren zu Veronica Rossetti. «Sie ist ein Naturtalent, bei ihr sind Kraft und Beweglichkeit in einem für Ballett optimal abgestimmten Verhältnis von Natur her gegeben», sagt die Lehrerin.Die Grundausbildung in Zürich hat auch die Rebsteinerin Francine Hoenner abgeschlossen. Sie studiert nun Tanz in Genf. Livia Dornbierer aus Rorschacherberg ist die jüngste Schülerin, die an der Akademie des Tanzes in Mannheim zum Bachelorstudium zugelassen wurde. Natalie Rossetti, ebenfalls aus Rorschacherberg, beginnt im September die professionelle Musical-Ausbildung in Wien.Die fünf Beispiele zeigen: Mit Leidenschaft, Talent und Ehrgeiz ist viel möglich. Der Traum, professionelle Ballerina zu werden, ist nicht ausgeträumt, sobald die Realität besser sichtbar wird. Doch die Realität besteht aus sehr viel Arbeit und Disziplin.Ein grossartiger dritter Rang
Ballett Das Como Lake Dance ist einer der Wettbewerbe, in denen sich Veronica Rossettis Schülerinnen messen können. Der Anlass fand in einem prunkvollen, alten Theater statt, die Jury bestand aus Vertretern renommierter Akademien und Choreografen aus Moskau, New York oder London. Die Rheintaler Mädchen, die als Solotänzerinnen und in der Gruppe teilnahmen, schnitten bravourös ab: Im Gruppentanz erreichten sie den dritten Rang, sie mussten sich nur zwei Profischulen geschlagen geben. Mit dabei waren Aaliyah Berner, Malena Biasi, Janina Böhme, Lilly Brammertz, Alessia D’Agostino, Isabelle Lenz, Gianna Mathieu, Tamara Reimann, Natalie Rossetti, Newa Sonderegger, Dana von Birckhahn, Salome Wagner und Arwen Zaia. (pd/rez)