18.03.2021

Auf der Suche nach dem genetischen Zwilling

Lucia Cipriano dachte, die schlimmste Zeit in ihrem Leben sei ausgestanden. Dann bekam sie eine Krebsdiagnose.

Von Seraina Hess
aktualisiert am 03.11.2022
In der Wohnung von Lucia Cipriano schmücken Fotos der vergangenen 18 Jahre die Wände. Junge Liebe, Hochzeit, Baby, ein Kleinkind, das nach und nach zum Teenager wird. Doch auch wenn es die Bilder nicht vermuten lassen, prägten Krankheit und Ungewissheit schon früh das Familienleben. Zwei Monate nach der Geburt der Tochter stellten Ärzte bei ihrem Mann Luciano einen Hirntumor fest, es folgten eine Operation und Therapien, danach der Kampf zurück in den Alltag. «Damals dachte ich: Nun haben wir die schlimmste Zeit hinter uns und können vorwärtsschauen», erinnert sich die Rheineckerin.Lucia Cipriano mit Mann Luciano an einem der letzten sorgenfreien Tage im Sommer 2020 am Seeufer von Bregenz. (Bild: pd)Schüttelfrost, Müdigkeit und AusschlagSo war es auch mehrere Jahre. Bis sich Lucia Cipriano 2019 nach einer Operation und einem Infekt nicht mehr wirklich erholte, obschon es ihr längst hätte besser gehen sollen. «Ich fühlte mich immer müde, mir war kalt und ich litt an Schüttelfrost.» Hinzu kam ein Ausschlag am ganzen Körper, der ständig juckte und selbst die Hautärztin im Dunkeln tappen liess. Das Coiffeurgeschäft, das sie viele Jahre in St. Margrethen führte, gab Cipriano schliesslich auf. Die Diagnose bekam sie kurz vor dem 40. GeburtstagManchmal schien es auch bergaufzugehen. Im Sommer und im Herbst 2020 gab es bessere Tage, die hoffen liessen. Doch als ein erneuter Schub nach den Familienferien im Tirol sie heimsuchte, nahm die Ärztin eine Biopsie vor. Die Diagnose bekam Lucia Cipriano wenige Tage vor ihrem 40. Geburtstag. Es war in ihren Worten wie «ein Schlag ins Gesicht»: Sie leidet am Sézary-Syndrom, einer sehr seltenen und aggressiven Form von Lymphdrüsenkrebs.Für die Mutter bedeutet das seither jede Woche eine Spritze mit Medikamenten, die ihr Immunsystem anregen sollen, die Krebszellen zu bekämpfen. Die Symptome hält sie so in Schach. «Ich fühle mich aber, als hätte ich jede Woche eine Grippe.» Denn Hoffnung auf Heilung gibt es mit der Immuntherapie nicht – und wenn die Krankheit weiter wütet, werden Lymphdrüsen und Organe angegriffen. Eine 50-Prozent-Chance, gesund zu werden, besteht aber mit einer Blutstammzellenspende (siehe Zweittext). Natürlich hat sich ihr Bruder sofort testen lassen, doch sein genetisches Material passt nicht – und weitere Familienmitglieder sind von einer potenziellen Spende schon oder noch ausgeschlossen.  «Ob es Wochen, Monate oder Jahre dauert, bis ich meinen genetischen Zwilling finde, weiss ich nicht. Aber ich bin mir sicher, dass er irgendwo da draussen ist.» Um den Prozess zu beschleunigen, hat sie dem Schweizerischen Blutspendedienst eines der vielen Fotos aus ihrem Familienalbum bereitgestellt. Die Organisation erzählte ihre Geschichte vor drei Tagen in den sozialen Medien. «Die Rückmeldungen sind überwältigend und lassen uns hoffen.» Dank Social Media: 650 Registrationen in zwei Tagen Die Organisation Blutspende SRK Schweiz AG ist immer auf der Suche nach Menschen, die Blutstammzellen spenden möchten – inzwischen auch über Instagram und Facebook. «Im letzten Jahr haben wir unsere Social-Media-Präsenz verstärkt. Die Zahlen sprechen für sich: Obschon wir das Maximalalter von 55 auf 40 heruntergesetzt haben, gab es 2020 so viele Registrationen wie noch nie», sagt Direktor Bernhard Wegmüller. Tatsächlich würden Beiträge mit persönlichen Geschichten nicht nur geliket und geteilt, das Mitgefühl spiegle sich auch in der Registration. Nach dem Post über Lucia Cipriano sind beim Blutspendedienst innerhalb von zwei Tagen 650 Registrierungen eingegangen. Normalerweise seien es etwa 150 pro Woche. «Die sozialen Medien helfen uns vor allem dabei, die gesuchten jüngeren Menschen zu erreichen», erklärt Wegmüller.Denn registrieren können sich nur gesunde 18- bis 40-Jährige. Im Anschluss bekommen die Interessierten ein Set für einen Mundschleimhaut-Abstrich zugeschickt, den man zur Bestimmung der Gewebemerkmale zurücksendet. Stimmen die Merkmale mit einem Patienten überein, wird der potenzielle Blutstammzellspender erneut kontaktiert. Das ist allerdings selten der Fall: Gemäss Blutspende SRK Schweiz spenden gerade einmal 70 Personen pro Jahr ih­-re Blutstammzellen erkrankten Menschen, mit denen sie nicht verwandt sind. Dabei gibt es zwei Spendearten: Acht von zehn sind periphere Blutstammzellspenden. Einige Tage vor der Spende werden dem Spender Wachstumsfaktoren verabreicht, damit sich die Blutstammzellen im Knochenmark vermehren und in den Blutkreislauf ausgeschüttet werden. Die Entnahme erfolgt venös und ohne Spitalaufenthalt. Nur 20 Prozent der Blutstammzellspenden sind Knochenmarkspenden und damit an einen Eingriff gekoppelt. (seh)Hier geht es zur Registration, hier zu weitern Infos.

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