Altstätten 29.06.2023

Auch in Altstätten gab's im 20. Jahrhundert noch Völkerschauen

Ein posthum erschienenes Werk der verstorbenen Autorin Rea Brändle widmet sich dem Thema Völkerschauen, die es auch im Rheintal gab.

Von Armando Bianco
aktualisiert am 29.06.2023

Es ist das letzte Buch der Autorin Rea Brändle, die im Obertoggenburg aufgewachsen und 2019 in Zürich gestorben ist. Ein als Fragment verbliebenes Manuskript wurde von An­dreas Bürgi gemeinsam mit vielen unterstützenden Personen ergänzt, komplettiert, zu Ende recherchiert und kürzlich im Verlag Chronos herausgegeben.

Rassistische Grundierung und pädagogischer Anstrich

Das Werk mit 288 Seiten trägt den Titel «Wilde, sie sich hier sehen lassen» und dreht sich um die Zeit der Völkerschauen, Jahrmärkte und Schaustellerei im 19. und 20. Jahrhundert. Was heute undenkbar ist, war damals noch gang und gäbe –das Ausstellen fremder Menschen und ihrer Kulturen. Angetrieben von kolonialistischer Neugier wurden hierzulande Indianer, Sudanesen, Lappländer, Fakire und Menschen anderer Völker gegen eine Eintrittsgebühr gezeigt –auch im Rheintal, Werdenberg und anderen Regionen der Ostschweiz (siehe Kasten).

Erfolgreiche Schaustellerfamilien bestimmten teils bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts das Geschäft mit der Vorführung von Menschen aus fernen Weltgegenden. Das Muster war meist sehr ähnlich: Darstellung von «Wilden», zugkräftige Klischees einer wohlfeilen Exotik, Verflechtungen von Tier- und Menschenschauen. Dem Spektakel zugrunde lag eine rassistische Grundierung, trotz des pädagogischen und wissenschaftlichen Anstrichs, womit diese veredelt wurden.

Eine Liste mit 3500 Völkerschauen

«Den Wurzeln der späteren spektakulären Inszenierungen mit Dutzenden von Teilnehmenden, verschiedensten Tieren, Geräten und grossen ­Kulissen ging die 2019 verstorbene Zürcher ­Autorin Rea Brändle in ihrem letzten Buch nach», heisst es im Klappentext der Buchpublikation.

Der Band enthält eine Liste mit rund 3500 Einträgen, die sämtliche Völkerschauen in Europa verzeichnet, auf die Rea Brändle im Laufe ihrer dreissigjährigen Beschäftigung mit dem Thema gestossen war.

Rea Brändle schrieb mehrere Bücher, Theaterstücke und zahlreiche Buchbeiträge, vorwiegend zu Themen der kolonialen und postkolonialen Geschichte.

Verlag Chronos, «Wilde, die sich hier sehen lassen», ISBN 978-3-0340-1707-7

Fakire und Sudanesen in Altstätten und Buchs

Sogenannte Völkerschauen waren in der Zeit zwischen 1898 und 1960 auch in Altstätten und Buchs gelegentlich zu sehen. 1902 wurde im Hotel Rhätia in Buchs während drei Tagen eine Schilluk-Karawane ­präsentiert. «Eingeborene Männer, Frauen und Kinder» fremder Abstammung zeigten «heimatliche Sitten und Gesänge, Kriegspiele und Gefechte». Erwachsene zahlten 50 Rappen Eintritt, Kinder die Hälfte, Schulklassen «in Begleitung des Lehrers» 15 Rappen pro Kopf. Zwei Jahre später führte man dort dem Publikum eine «Sudanesen-Karawane aus dem dunklen Erdteile (Sudan) vom oberen Nil» vor. Sechsmal täglich zwischen 16 und 21 Uhr gab es «Gebräuche, Feste und Zeremonien» zu sehen.

Die Karawane gab es 1902 auch im Rheintal zu sehen. Während sechs Tagen im Mai gastierte die «Sudanesen im Gasthof zur Sonne, geht aus einem Inserat im Rheintalischen Allgemeinen Anzeiger hervor. Bereits vor der letzten Jahrhundertwende fand 1898 in Altstätten zweimal ein Konzert der amerikanischen Fisk-Jubiläumssänger «Fünf farbige Sänger und Sängerinnen» in der neuen Turnhalle statt, wie dem «Rheintaler» damals zu entnehmen war. In den 1930er-Jahren wurden in Buchs «Mohammedaner, Inder, Afrikaner und Fakire» stündlich in einem Seitenzelt des Zirkus Knie mit «Schlangentänzen, Götzen- und Tempelrhythmen» vorgeführt, und dort gab es auch eine «Abessiner-Gauklerschau».


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