23.11.2020

«Auch eine Schreinerei kann es treffen»

Sogar Bundesrätin Karin Keller-Sutter kam nach Heerbrugg, um ihr Nein zur Konzernverantwortungsinitiative zu bekräftigen.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Bei der Bushaltestelle im Heerbrugger Zentrum empfehlen Ex-Politiker wie Dick Marty und Eugen David von einem Plakat herab die Zustimmung zur Konzernverantwortungsinitiative (KVI). Einen Kilometer entfernt, bei SFS, sassen am Montagmorgen namhafte Initiativgegner aus Fleisch und Blut einer stattlichen Gruppe von Journalisten gegenüber, um darzulegen, für wie schädlich sie die Initiative halten.Jens Breu, Diana Gutjahr, Benedikt WürthBereits am Konjunkturforum «Zukunft Ostschweiz» vor einer Woche hätte die Industrie- und Handelkammer St.Gallen-Appenzell (IHK) Bundesrätin Karin Keller-Sutter dabeihaben wollen, was aber nicht möglich war. Dafür beteiligte sich die Ostschweizer Politikerin am gestrigen Mediengespräch, das SFS, die IHK und der Arbeitgeberverband Rheintal (AGV) gemeinsam organisiert hatten.Nicht juristische Argumente, sondern die Sicht von Unternehmen sollte im Vordergrund stehen. Neben Karin Keller-Sutter äusserten sich der CEO der gastgebenden SFS Gruppe, Jens Breu, der frühere St.Galler Volkswirtschaftsdirektor und heutige CVP-Ständerat Benedikt Würth sowie die Thurgauer SVP-Nationalrätin Diana Gutjahr, Mitinhaberin und Verwaltungsrätin der Ernst Fischer AG. Das ist ein Familienbetrieb im Stahl- und Metallbaubereich mit rund 80 Mitarbeitenden.«Potenziell alle Firmen betroffen»Selbst eine Schreinerei könne von der KVI betroffen sein, wenn sie Holz importiere, sagte Karin Keller-Sutter. Die Kernaussage dahinter: Es seien eben nicht bloss einige Konzerne, sondern «potenziell alle Unternehmen» betroffen. Illusorisch nannte Diana Gutjahr die Vorstellung, dass «die Lieferketten sich bis zum letzten Einzelteil zurückverfolgen lassen».Bei den Referaten ohne Maske, aber mit Trennwänden zwischen den Plätzen: (von links) Benedikt Würth, Karin Keller-Sutter, Jens Breu, Diana Gutjahr.Gerade für die Ostschweiz mit ihrer stark verankerten Industrie und ihren gewerblichen Zulieferern stehe viel auf dem Spiel, meinte Benedikt Würth. Das gelte speziell auch für das Rheintal mit seiner starken internationalen Verflechtung. Bei einem Ja «wären die grossen Unternehmen gezwungen, die Haftungsrisiken vertraglich weitgehend auf die Kleinen abzuwälzen».Zahl der Zulieferer geht in die TausendeDie Ernst Fischer AG müsse für die Herstellung ihrer Produkte auf etwa 500 verschiedene Lieferanten zurückgreifen, sagte Diana Gutjahr. Diese Lieferanten wiederum seien «auf zig Sublieferanten angewiesen». Bei einer Firmengruppe wie SFS geht die Zahl der Zulieferer in die Tausende.Natürlich waren gestern keine Argumente neu. Es ging vielmehr um Warnung und Bekräftigung. Gerade in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten wiege es doppelt schwer, die einheimische Wirtschaft gegenüber ausländischen Mitbewerbern mit einem Gesetz schlechter zu stellen, dessen Ausgestaltung offen sei. Nicht die Erklärungen der Initianten hätten als Entscheidungsgrundlage zu dienen, sondern einzig der Initiativtext, meinte Diana Gutjahr. Auch Benedikt Würth sagte: «Ich kann nur empfehlen: Initiativtext lesen.» Dann sehe man, dass für KMU nur bei der Sorgfaltsprüfungspflicht Erleichterungen vorgesehen seien, doch «der Kern, die Haftung, bleibt». Eine Haftung, die bei SFS und seinem CEO Jens Breu schon deshalb Sorgen weckt, weil «eigentliche Klageindustrien» bestünden, die sich «die leichtesten Ziele aussuchen».Schon heute hohe StandardsSchon heute, versicherte Jens Breu, erfülle SFS wie die grosse Mehrheit der Schweizer Unternehmen punkto Sorgfalt hohe Standards, wenn es um Menschenrechte und die Schonung der Umwelt im Ausland gehe. Schweizer Unternehmen, formulierte es Würth, seien «nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung».Karin Keller-Sutter erinnerte daran, dass ein Schweizer Unternehmen für Schäden im Ausland schon heute hafte, aber nur für jene Schäden, die das Unternehmen selbst verursacht, was auch richtig sei. Sie habe schon als Kind gelernt: «Man steht für das gerade, was man selber falsch macht.» Deshalb seien der Bundesrat und die Mehrheit des Parlaments für den Gegenvorschlag, der bei einem Nein zur Initiative automatisch in Kraft tritt.Die Bundesrätin widersprach der Auffassung der KVI-Befürworter, es handle sich beim Gegenvorschlag bloss um einen Papiertiger. Der Gegenvorschlag als gesetzliche Verpflichtung zu mehr Transparenz sei sehr wohl «für viele Unternehmen eine Herausforderung». Er sei jedoch international abgestimmt und ermögliche gleich lange Spiesse.Der gestrige Medienanlass so kurz vor dem Abstimmungssonntag muss angesichts jüngster Umfrageergebnisse nicht verwundern. Eine Annahme der Initiative scheint ja nicht ausgeschlossen. Abseits der Bühne fiel denn auch im Kreis der Referenten ein Satz, der Besorgnis und Hoffnung zugleich mitschwingen liess: Womöglich, hiess es, scheitere die KVI am Ständemehr.Zum Schluss der Veranstaltung überreichte Nick Huber der Bundesrätin ein Getränk, das nur 200 Meter vom SFS-Standort entfernt abgefüllt wurde – eine Dose Red Bull. Das SFS-Verwaltungsratsmitglied verband mit dem bekannten Getränk die Hoffnung, es möge der gegnerischen KVI-Kampagne Flügel verleihen.  

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