Reto WälterDie regionale Gasverteilerin, die Gravag AG in St. Margrethen, bezieht ihr Gas vorwiegend aus der Hauptleitung, die von Deutschland her die Schweiz in Richtung Süden durchquert. Die Transitleitung führt vom baslerischen Wallbach quer durch die Schweiz. Beim Griespass im Wallis verläuft sie weiter nach Italien. Die Schweiz ist auch mit einer Transitleitung an Frankreich angebunden. Ab den Knotenpunkten führen die Transportleitungen der Erdgas Ostschweiz AG das Gas nach Osten: Das Gas im Rheintal wird durch die Hauptleitung von Zürich nach Bruggerhorn weitergeleitet. Ab dort fliesst es ebenfalls durch die Hochdruckleitung der Erdgas Ostschweiz AG, die ehemalige Oleodotto-Ölleitung. Ein Teil wird weiter nach Bad Ragaz gepresst und von der Erdgasversorgung Sarganserland endverteilt. Der Rest des Gases fliesst in die Station beim Bruggerhorn in St. Margrethen. Der Leitungsdruck von bis zu 60 Bar wird dort auf fünf Bar reduziert, um das Erdgas dann an Industrie und Haushaltungen von Rorschach bis Buchs und ins Appenzellerland weiterzuleiten. Region braucht nur 2,5 % der Gesamtmenge«Die Gasflüsse aus Russland in die EU haben in den letzten Monaten stetig abgenommen und machen derzeit nur noch rund 15 Prozent der Gasimporte aus. Gründe dafür sind, neben der sinkenden Nachfrage nach russischem Gas, auch die von Russland seit Mitte Juni gedrossel-ten Lieferungen über die ‹Nord Stream 1›-Pipeline», sagt Roger Schneider, Geschäftsleiter der Gravag AG. 2016 seien von der EU noch rund 40 Prozent aus Russland bezogen worden. Von der gesamten Transportkapazität der Transitleitung wird nur rund zehn Prozent für den schweizerischen Markt gebraucht, der Grossteil fliesst nach Italien und in weitere Länder im Süden. «Eine Chance für die Schweiz ist, dass man die Transitleitung auch in umgekehrter Richtung betreiben und Gas aus Italien beziehen könnte. Von den 35 Terawattstunden, die in der Schweiz durchschnittlich pro Jahr verbraucht werden, bezieht die Gravag 0,75 Terawattstunden, was 750 Gigawattstunden entspricht. Damit werden von den Kunden in den 34 Gemeinden, in die die Gravag Energie liefert, lediglich knapp 2,5 Prozent des gesamtschweizerischen Verbrauchs beansprucht. Davon entfallen 30 bis 35 Prozent auf Industriekunden, der Grossteil wird aber zum Heizen von Wasser in Dienstleistungsbetrieben und Haushalten genutzt. 70 Prozent des Gases, also 500 Gigawattstunden, werden von Oktober bis März gebraucht und verbraucht. Vor allem dieser ausgeprägte saisonale Verbrauch im Winter veranlasste den Bundesrat vorige Woche, vor die Medien zu treten und zu informieren, dass in einem kalten Winter eine Mangellage drohe.Totaler Zusammenbruch ist unwahrscheinlich«Dass die Gasversorgung komplett zusammenbricht, ist eher unwahrscheinlich», sagt Roger Schneider und gibt ein Beispiel: «Bei gefüllten europäischen Speichern – derzeit etwa 60 Prozent Füllstand – einem milden Winterverlauf und entsprechenden Massnahmen bei der Industrie – können die Heizungskunden wohl durchgehend über den Winter versorgt werden.» Anders sähe es aus, wenn ein langer und kalter Winter Europa heimsuchte. Die Gravag hat ihre Industriekunden bereits darauf aufmerksam gemacht, möglichst vorhandene alternative Anlagen zur Energiegewinnung vorzubereiten, Betriebsstoff, also beispielsweise Erdöl, einzukaufen und zu lagern, damit bei einem allfälligen Mangel an Erdgas umgestellt werden könnte. «Ein Drittel bis zur Hälfte der Industriekunden hier in der Region könnte wohl auf andere Energieträger umstellen», schätzt Schneider. Logisch ist: Wird mehr Gas verbraucht, als ins Netz eingespeist, bricht die Versorgung zusammen. Allerdings ist das Netz lange betriebsfähig: Wird normalerweise das Gas mit fünf Bar durch das 1000 Kilometer lange Gravag-Netz zum Endkunden gepumpt, reichen 20 Millibar, also 0,020 Bar, damit eine Heizung noch funktioniert. Unter dieser Grenze zeigt sie eine Störung an, bleibt aber funktionstüchtig, sobald wieder Gas fliesst. Dass die Gasheizungen in Haushalten komplett ausfallen, wäre das schlimmstmögliche Szenario. Soziale Einrichtungen wie etwa Spitäler, aber auch Privathaushalte gelten in der Schweiz als geschützte Kunden und wären somit von einer Kontingentierung ausgeschlossen. Vorher würden also Industrie- und Dienstleistungsunternehmen verpflichtet, ihren Verbrauch zu drosseln. Dies entspricht auch der Praxis in der EU, mit der man über Solidaritätsabkommen verhandeln will. Roger Schneider empfiehlt denn auch, Ruhe zu bewahren: «Das Gas wird nicht komplett ausgehen.»