30.09.2021

Ärzte, die Fragen klären

Der pensionierte Arzt Paul Planzer aus Marbach engagiert sich beim Café Med.

Von Interview: Andrea C. Plüss
aktualisiert am 03.11.2022
Paul Planzer ist Arzt für Allgemeine Innere Medizin und führte 27 Jahre lang, bis 2013, eine Praxis in Marbach. Nun wirkt der 73-jährige pensionierte Mediziner beim Café Med mit, einem kostenlosen Beratungsangebot für Patienten oder Angehörige, das am 27. September in St. Gallen offiziell den Betrieb aufgenommen hat.Paul Planzer, wie sind Sie auf die Akademie Menschenmedizin (amm) aufmerksam geworden, die das Café Med anbietet?Paul Planzer: Ein Kollege aus dem Appenzellerland, der ebenfalls mitwirkt, wies mich darauf hin. Ihm und auch mir ist es wichtig, bekanntzumachen, dass das Café Med natürlich auch für Personen aus dem Rheintal oder den beiden Appenzell gedacht ist, nicht nur für Stadt-St. Galler. Was hat Sie zur Mitwirkung bewogen?Das Angebot ist niederschwellig und kostenlos. Der ganzheitliche Ansatz der amm überzeugt mich und ich habe das Gefühl, meine jahrzehntelange Erfahrung dort einbringen zu können. Wie muss man sich den Ablauf im Café Med vorstellen?Anfangs sind vielleicht sechs oder sieben pensionierte Ärzte an den Terminen vor Ort. Interessierte werden in Empfang genommen und gefragt, in welche Richtung ihre Anliegen gehen. Anschliessend werden sie einem Arzt zugewiesen. Natürlich können auch andere Kollegen hinzugezogen werden, sollte die Fragestellung dies nötig machen. Patienten oder Angehörige werden zudem über die Grundsätze des Café Med informiert  und sind gebeten, eine Einverständniserklärung zu unterzeichnen (siehe Zweittext unten). Sind es Menschen mit schweren Erkrankungen, die da vorstellig werden? Nicht unbedingt. Es geht auch nicht darum, mit den Patienten Röntgenbilder oder Laborresultate zu besprechen, sondern darum, die Fragen der Menschen wirklich zu erfassen und ihnen zu zeigen, wohin der Weg führen könnte. Warum fragen die Patienten denn pensionierte Ärzte und nicht einfach  ihren Hausarzt? Natürlich müsste das eigentlich durch den behandelnden Arzt abgedeckt werden. Aber vielfach fehlt die Zeit, oder die Patienten haben ihre Fragen noch gar nicht parat. Häufig tauchen nach der Sprechstunde, zwischen Tür und Angel oder zu Hause Fragen auf. Und die sind oft die wichtigsten. Da muss man hellhörig sein, das ist eine Erfahrung, die ich selbst gemacht habe. Und beim Café Med hat der Arzt genügend Zeit für solche Fragen?Ja, davon gehe ich aus. Vielfach haben die Leute nicht genau verstanden, was für eine Behandlung ihr Arzt ihnen vorgeschlagen hat. Oder nicht alle Aspekte, die damit verbunden sein können. Manche Patienten scheuen sich dann vielleicht auch, nochmals um einen Termin zu bitten. Ich erlebe immer wieder, wenn ich in Gesellschaft bin, dass ich zu einem medizinischen Thema angesprochen werde. Oft kann ich diese Fragen ganz gut beantworten, ohne Kenntnis von Befunden oder Röntgenbildern. So steht beim Café Med das Zuhören im Mittelpunkt? Es geht darum, die Anliegen und Fragen einzuschätzen. Es kann sein, dass man dem Patienten sagt, er müsse dem Hausarzt gewisse Fragen stellen. Oder der behandelnde Arzt möge einen Aspekt besser erklären. Es kann auch sein, dass man den Patienten rät, eine Zweitmeinung einzuholen. Jedenfalls herrscht kein Zeitdruck beim Beantworten der Fragen.Die Akademie Menschenmedizin macht auf Defizite im Gesundheitswesen aufmerksam. Vor allem auf den Kosten- und Zeitdruck. Kennen Sie da Beispiele?Bei der Spitex beispielsweise müssen Mitarbeitende jede Aktivität beim Patienten genau dokumentieren. Für kleinere Hilfeleistungen bleibt da kaum Raum. Auch in Arztpraxen ist der Zeitdruck spürbar.Haben Sie solche Erfahrungen während Ihrer aktiven Zeit als Hausarzt auch gemacht? In den 1990er-Jahren hat sich ein Wandel vollzogen. Alles wurde ökonomisiert. Das war spürbar. Alles wurde nur noch aus der Kostenperspektive betrachtet. Wer generiert Kosten? Weshalb? Sie sind momentan der einzige pensionierte Arzt aus dem Rheintal, der beim Café Med in St. Gallen mitwirkt. Werden Sie Werbung machen bei anderen pensionierten Rheintaler Ärzten? Den Flyer über das Café Med habe ich bereits verteilt. Unser nächstes Treffen ist allerdings erst im Dezember. Wenn Sie sich etwas wünschen dürften im Gesundheitswesen, was wäre das?Es ist mir ein Anliegen, dass der Mensch im Mittelpunkt steht. Es soll nicht nur um die Kosten gehen. Wichtig ist mir auch, dass es nicht einseitig auf technisierte Medizin hinausläuft. Der ganzheitliche Ansatz sollte mehr Beachtung finden.  Entscheidungshilfe für Patienten und AngehörigeDie Akademie Menschenmedizin (amm) ist ein unabhängiger gemeinnütziger Verein, der sich seit 2009 für ein Gesundheitswesen einsetzt, bei dem der Mensch im Mittelpunkt steht. Das Café Med ist ein kostenloses Angebot des amm für Patienten und Angehörige. Pensionierte Ärzte verschiedener Fachrichtungen sowie Psychologen beraten an einem Nachmittag pro Monat unter anderem neu auch in St. Gallen. Kleinere Städte oder Gemeinden eigneten sich weniger für das Angebot, da sich Ratsuchende und Beratende häufig privat kennen würden, sagt Annina Hess, Präsidiumsmitglied amm. Das sei nicht immer hilfreich. Es werden keine Dokumentationen geführt und keine Therapien verordnet. Ziel der Gespräche ist es, den Patienten zu helfen, eine individuell passende Entscheidung zu treffen. Es handelt sich nicht um eine Zweitmeinung. (acp)Hinweis Café Med St. Gallen: jeweils letzter Montag im Monat, 16 – 19 Uhr, «DenkBar», an der Gallusstrasse 11. Weitere Infos finden sich unter www.menschenmedizin.com.

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