12.02.2021

Arzt mit E-Bike «von Bus eingeklemmt»

Hat ein Buschauffeur einen E-Bikefahrer gefährlich überholt und zu Fall gebracht? Er selbst sagt Nein.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Der Chauffeur wehrt sich gegen den Vorwurf, einen Rheintaler Arzt im Pensionsalter fahrlässig verletzt und Fahrerflucht begangen zu haben. Er hat gegen den Strafbefehl Einsprache erhoben. Somit kam es diesen Freitag zur Verhandlung vor dem Kreisgericht Rheintal in Altstätten.Unbestreitbar ist der Sturz des Arztes, der am Montag, 24. Juni 2019 um halb drei durch den Hirschensprung in Richtung Rüthi unterwegs war und kurz darauf von einem Gelenkbus überholt wurde.E-Bikefahrer «nach rechts abgedrängt»Was nun geschah, schildert die Anklageschrift so: Wegen entgegenkommender Fahrzeuge habe der Buschauffeur vor dem Abschluss seines Überholmanövers wieder auf die rechte Fahrbahn zurückkehren müssen, wobei er mit der hinteren rechten Seite des Gelenkbusses den E-Bikefahrer nach rechts gegen den Strassenrand abgedrängt hat. Der hintere rechte Teil des Busses soll das E-Bike sogar gestreift und die Lenkstange abrupt nach rechts gedrückt haben.[caption_left: Vom Hirschensprung her, in Richtung Rüthi (also auf die Kamera zu) war der E-Bikefahrer unterwegs, als der Bus ihn überholte.]Abgedrängt auf einen schmalen Schotterstreifen und eingeklemmt zwischen dem Bus und einem Holzzaun mit Sträuchern, habe er zunächst gar nicht stürzen können, sagte der Arzt vor Gericht. Erst als der Bus an ihm vorbei gewesen sei, fiel er nach links auf die Fahrbahn. Er erlitt eine Entzündung am Ellbogen, Blutergüsse und Schürfungen.  Der Zweiradfahrer war «schockiert», dass der Buschauffeur am Anfang einer leichten Rechtskurve «trotz nahenden Gegenverkehrs» zum Überholen angesetzt habe. Der Busfahrer verneint jeglichen Gegenverkehr; die vom Arzt erwähnten Fahrzeuge, ein weisses Auto und ein Töff, seien zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu sehen gewesen.Zeuge: «Es isch wahnsinnig eng gsi»Zwei mögliche Beweise fehlen, weil die Polizei es verpasste, sie umgehend zu erheben. Weder beantragte sie die Herausgabe der Videoaufzeichnungen von der Fahrt durch Bus Ostschweiz, noch stellte sie das E-Bike sicher, um zu klären, ob es zu einer Streifkollision mit dem Bus gekommen war. Am Bus waren bei der Begutachtung tags darauf keine Beschädigung und keine Wischspuren feststellbar.Wenigstens gibt es Zeugen. Wahrscheinlich der wichtigste: Ein Mechaniker, der mit dem Auto unmittelbar hinter dem E-Bikefahrer und dem Bus unterwegs gewesen war. Ob der Bus das Zweirad touchiert habe, könne er weder verneinen noch bejahen, aber was er sicher sagen könne: «Es isch wahnsinnig eng gsi, wörkli eng.» Der «schön korrekt rechts» gefahrene E-Bikefahrer sei vom Bus «ganz klar abgedrängt» worden. Konnte er zu Beginn des Überholmanövers Gegenverkehr sehen? «Nei, han i nöd gachtet, nei», sagte der Zeuge.«Er will mir den Sturz anhängen»Der Buschauffeur meinte, von 100 überholten Velofahrern fänden 99, der Bus sei ihnen zu nahegekommen. Aber er habe sich richtig verhalten, habe den E-Bikefahrer «überholt und fertig». An einer übersichtlichen Stelle sei er weit genug nach rechts ausgewichen und der Überholte sei noch auf seinem Velo gewesen, als er ganz an ihm vorbeigezogen sei, das habe er beim Blick zurück gesehen. Danach jedoch, als der Velofahrer hinter ihm gewesen sei, habe er diesen als Chauffeur eines 18,5 Meter langen Gelenkbusses nicht mehr sehen können, der Mann sei nun im toten Winkel gewesen.Dass er Fahrerflucht begangen habe, treffe überhaupt nicht zu, er habe ja gar keinen Unfall verschuldet. Die Erklärung des Busfahrers lautet so: «Der E-Bikefahrer hatte einen klassischen Selbstunfall, den er jetzt mir anhängen will.» Der Arzt gab an, «hundertprozentig sicher» zu sein, dass der Bus ihn gestreift habe. Was der Angeklagte sage, treffe schlicht nicht zu.Polizei meinte, Kamera filme nur FahrgastraumEine aufgebotene Zeugin erwies sich als der deutschen Sprache unzureichend kundig und schien auch mangels Beobachtungen nichts Wesentliches zum Fall beitragen zu können.Der befragte Polizeibeamte, der am Tag des Unfalls zusammen mit einem Kollegen von Thal nach Rüthi kam, wertete die Aussage des E-Bikefahrers, der Bus habe ihn abgedrängt, als plausibel - auch mit Hinweis auf die eher schmale Strasse. Zu den Videoaufzeichnungen meinte er, diese seien aufgrund von Erfahrungen nicht beantragt worden. Man sei davon ausgegangen, dass die Kameras im Bus nur den Fahrgastraum aufzeichnen. Was jedoch ein Irrtum war, denn im Gelenkbus gibt es eine Kamera, die auch den Aussenraum erfasst. Der Antrag des Verteidigers, die Daten möglichst wiederherzustellen, kam jedoch zu spät: Sie bleiben jeweils nur zwei Tage gespeichert und sind seit dem Sommer 2019 x mal überschrieben worden. Der Polizist räumte ein, diesem Aspekt sei zu wenig Beachtung geschenkt worden.Verteidiger strapazierte Geduld der Anwesenden Der Verteidiger des Buschauffeurs strapazierte die Geduld sowohl des Richters als auch der Gegenpartei mit Dutzenden von Zusatzfragen. Als ein Zeuge angab, den letzten Sehtest im Frühling 2018 gemacht zu haben, fragte der Verteidiger: «Was heisst Frühling genau»? Er erkundigte sich nach dem Aussehen der Agenda, welche die Zeugin dabeigehabt hatte – weil sie sich an nichts erinnern konnte und der Anwalt des Beklagten dachte, dieses mangelnde Erinnerungsvermögen lasse sich womöglich als gespielt entlarven. Sowohl der Richter als auch die Gegenpartei liessen einen gewissen Unmut über die ihres Erachtens am Fall vorbei zielende Akribie erkennen.Die Verhandlung hatte kaum begonnen, als der Verteidiger zahlreiche Anträge stellte. Ein Sachverständiger habe einen Bericht zur Datenwiederherstellung zu verfassen, Bus Ostschweiz einen Bericht darüber, was genau von den Kameras aufgezeichnet werde, ein medizinisches Gutachten zum E-Bikefahrer sei ebenfalls nötig, ebenso eine Konfrontativeinvernahme mit wechselseitiger Befragung. Die Weitsichtigkeit des Zeugen wiederum verlange nach einem augenärztlichen Gutachten.Der Anwalt des Arztes führte die Vernunft ins Feld und meinte knapp: Der Evolution verdankten wir, Wesentliches von Unwesentlichem unterscheiden zu können.Abgebrochen nach über fünf StundenDer Richter wies die genannten Anträge allesamt ab, fünf Stunden später hatte der Verteidiger dann aber mehr Erfolg. Die geforderte Einvernahme des zweiten Polizeibeamten am Unfallort sowie die Befragung der Zeugin in Anwesenheit eines Dolmetschers oder einer Dolmetscherin hiess der Richter gut. Noch bevor eine der Parteien dazu gekommen war, ihr Plädoyer zu halten, wurde die Verhandlung deshalb abgebrochen. Fortgesetzt wird sie möglichst bald. 

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