Fussball 10.05.2023

Antwort auf die kleine Frage: Fussball. Freundinnen. Freunde. Freude.

Die Frauen des FC Widnau, Tabellenführer in der 2. Liga und erster Aufstiegskandidat, werden am Sonntag in Berneck ihrer Favoritenrolle gerecht und gewinnen standesgemäss mit 5:1. Ihre Gegnerinnen vom FC Au-Berneck freuen sich über eine ausgezeichnete erste Halbzeit.

Von Beni Bruggmann
aktualisiert am 11.05.2023

«Warum bist du hier?»: Das ist die zentrale Frage im Roman «Das Café am Rande der Welt» von John Strelecky. «Warum bist du hier?»: Das muss man an diesem sonnigen Maimorgen auf dem Bernecker Fussballplatz Oberdorf niemanden fragen. Die gut 100 Zuschauerinnen und Zuschauer sind Partner, Eltern, Geschwister, Freundinnen und Freunde. Sie wollen nicht grossen Sport erleben, sie unterstützen die Spielerinnen durch ihr Interesse.

So erlebt man denn eine angenehme Stimmung und hat eine wunderbare Übersicht über das Spielfeld auf der höchsten Naturtribüne des Rheintals, trinkt bereits den Frühschoppen und geniesst etwas vom Grill, den Vereinspräsident Ernst Graf bedient.

Auf dem Spielfeld geht es durchaus zur Sache, engagiert und kämpferisch, aber fair. Es gibt keine einzige Verwarnung, und die beiden Mannschaften haben in dieser Saison erst drei (Widnau) und zehn (Au-Berneck) Strafpunkte geholt. Meine Gesprächspartnerin, Stürmerin beim FC Au-Berneck und auch schon ein paar Jahre dabei, hat überhaupt noch nie eine gelbe Karte gezeigt bekommen. Kompliment!

In der Familie Dierauer spiel(t)en alle Fussball

Die Frau heisst Julia Dierauer, ist 23-jährig und in einer Fussballerfamilie nahe des Fussballplatzes Berneck aufgewachsen. An diesem Sonntag ist die ganze Familie da. Das sind die Brüder Tobias (21) und Fabian (19), die zum Kader der ersten Mannschaft des FC Au-Berneck gehören. Sie hatten tags zuvor ein schönes Programm: Nach dem 13:0-Sieg gegen St.Margrethen ging’s an die Rhema. Vater Markus ist da, früher Fussballer, jetzt als Vizepräsident des Gemeinderates gefordert, weil Berneck im Moment ein Gemeindeoberhaupt sucht.

Au-Berneck zeigte sich gegen Favorit Widnau als eingeschworenes Team.
Au-Berneck zeigte sich gegen Favorit Widnau als eingeschworenes Team.
Bild: Remo Zollinger

Und dann schaut natürlich auch die Mutter zu. Sie hat als Esther Lanter früher bei St.Gallen und Staad in der höchsten Liga der Schweiz gespielt, im Mittelfeld. Heute noch trainiert sie in ihrem FC Mädchen.

Gegen Widnau ist Julia Dierauer einzige Sturmspitze – ein schwieriger Job, denn Widnau ist überlegen. Aber sie hat Erfolg: In der 22. Minute spielt sie den entscheidenden Pass für Sonja Kutzer, die zum 1:1-Ausgleich trifft. Wenn Widnau aufbaut, ist Julia eifrig am Stören, geht weite Wege, setzt sich fürs Team ein. Nach 76 Minuten sind die Kräfte verbraucht, sie wird ausgewechselt. Lara Pizzingrilli, die Spielertrainerin, sagt über Julia Dierauer: «Sie kommt gern zum Training, ist schnell, gibt Gas – und es ist immer lustig mit ihr.» Dierauer ergänzt:

Wir sind auf und neben dem Platz ein Team, eine grosse Gruppe von guten Kolleginnen. Alle sind mit Herz dabei, das gefällt mir.

Stolz auf die erste Halbzeit, Au-Berneck hält gut mit

Weil die Platzfrauen viele Zweikämpfe gewinnen, unermüdlich laufen und an die Überraschung glauben, wird die erste Halbzeit (1:1) ein Erfolg. «Wir hatten in der Pause eine gute Stimmung und waren stolz», sagt Julia Dierauer. Aber als sich anfangs der zweiten Halbzeit ein Widnauer Flankenball zufällig zum 1:2 ins Tor verirrt, ist der Au-Bernecker Widerstand gebrochen.

Für die Mutter ist klar:

Die erste Halbzeit war ganz gut, nachher hat sich die Qualität der Widnauerinnen durchgesetzt. Sie sind ausgeglichener.

Die Tochter sagt: «Das Resultat ist brutal. Mir hat meine Sturmkollegin ‹Alex› Mühlbauer gefehlt. Zu zweit geht alles leichter.»

Deutschunterricht für die Grösseren

Julia schliesst in diesem Jahr die Ausbildung zur Oberstufenlehrerin an der PH ab. Ihre Fächer sind Deutsch, Englisch, Geografie und Sport. «Um Kinder zu unterrichten, fehlt mir die Geduld, aber den Grösseren etwas beibringen, das, glaub’ ich, kann ich.» Wer Deutsch unterrichtet, kann lesen. «Mami liest gern», sagt die Tochter, «ich auch.» Das hat sie also von der Mutter geerbt; das Talent für den ganz grossen Fussball nicht, wohl aber die Begeisterung dafür.

Mutter und Tochter haben «Das Café am Rande der Welt» gelesen. «Warum bist du hier?» Die grosse Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens kann Julia Dierauer nicht geben:

Ich habe darüber nachgedacht, aber keine Antwort gefunden.

Die einfache Antwort kennen wir aber: Fussball. Freundinnen. Freunde. Freude.


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