15.11.2019

«Amerikaner horten Geld nicht»

Am Donnerstagabend bot Jens Korte der Kundschaft der Alpha Rheintal Bank tiefe Einblicke in die US-Wirtschaft.

Von Benjamin Schmid
aktualisiert am 03.11.2022
Zum vierten Mal trat Jens Korte vor diesem Publi-kum auf. Rund 1200 Personen lauschten dem Börsenexperten und Wirtschaftskorrespondenten für Fernsehen, Radio und Print. «Es ist eine Freude, ihm zuzuhören», sagte Reto Monsch, Vorsitzender der Geschäftsleitung der Alpha Rheintal Bank, «auch wenn das, was er zu sa-gen hat, nicht immer Freude bereitet.»50% Wiederwahlchancen für TrumpVor zwei Jahren, als Jens Korte zum letzten Mal im Rheintal referierte, war das Unverständnis über Trumps Wahlsieg greifbar. Heute, ein Jahr vor den nächsten Wahlen, schätzt der Wirtschaftsjournalist die Wiederwahlchancen von Trump auf 50%. «Viele Amerikaner sind nicht für Trump, aber gegen die anderen Kandidaten», sagte Jens Korte, «entschieden wird die Wahl wie immer in den sogenannten Battle States.» Bei den Demokraten gibt es nicht nur viele unterschiedliche Kandidaten mit verschiedenen politischen Positionen. Sie sind zersplittert. Während Joe Biden, Elizabeth Warren oder Bernie Sanders als Topfavoriten gelten, aber nicht unbedingt für Dynamik und Jugendlichkeit stehen, bearbeitet Camilla Harris vor allem ein Thema: eine schwarze Frau an die Macht. Obwohl das Impeachment-Verfahren in Europa heiss diskutiert wird, scheint es die Amerikaner kaum oder nur wenig zu interessieren. Sie haben grössere Probleme. Auch die Börse und die Märkte reagieren wenig darauf. Und überhaupt: «Noch nie kam ein Amtsenthebungsverfahren durch, weder bei Johnson, Nixon noch Clinton», sagte der Börsenexperte. Worauf die Wall Street hingegen empfindlich reagiert, sind Aussagen und Vorhaben von Elizabeth Warren. So soll der bekannte Hedgefonds-Manager Leon Cooperman gesagt haben, wenn Warren gewählt werde, müsse die Börse nicht mehr öffnen.Mehr Staat für die MarktwirtschaftElizabeth Warrens Ideen sind nicht neu, aber teils drastisch – vor allem für die Wirtschaft. Sie möchte die Finanzmärkte stärker regulieren, Unternehmen mit monopolartiger Stellung wie Google oder Facebook verkleinern und mit hohen Steuern für Superreiche eine Krankenversicherung für alle finanzieren. Auch Alexandria Ocasio-Cortez wirbt für eine Einkommenssteuer von 70% – was gemäss Korte kein Novum in der US-Wirtschaftsgeschichte wäre – aber doch als extreme Überlegung angesehen wird. Auf der anderen Seite stehen Trump und sein America First, was zu einem Handelskonflikt mit China führte, die Verschuldung auf ein Allzeithoch hob und das verarbeitende Gewerbe, das er eigentlich schützen wollte, vor grosse Probleme stellte. Und doch floriert die Wirtschaft unter Trump. Die Arbeitslosenquote ist auf dem tiefsten Stand seit 1969 und die Aktienkurse legten seit seinem Amtsantritt um über 50% zu. Vieles was Trump anspreche, sei richtig, so Jens Korte. Allerdings sagte der Wirtschaftsjournalist auch: «Ich war kein Freund von Obama, aber er war um Welten besser als Trump.» Führt Korte das hohe Defizit in Obamas Amtsperiode auf die Wirtschaftskrise zurück, sieht er in Steuersenkungen und Mehrausgaben die Gründe im aktuell noch höheren Defizit der trumpschen Legislaturperiode. Jens Korte lebt seit den 90er-Jahren in New York und fühlt den Puls am wichtigsten Börsenplatz der Welt. Trotz Vollbeschäftigung und höherer Löhne seien viele Amerikaner unzufrieden, weil die Lebenskosten stärker stiegen als die Einnahmen. Früher seien die USA dynamischer und innovativer gewesen. Man war stolz, bei Boeing oder PG&E zu arbeiten. Heute baut Boeing fluguntaugliche Flugzeuge, und der grösste Energieversorger der USA hat es versäumt, Wartungsarbeiten seriös durchzuführen, und muss nun wegen Waldbrandgefahr den Strom in Kalifornien teilweise abschalten. Trotzdem läuft die Wirtschaft gut. Der Antrieb sei die ungebrochene Konsumlust. Mit Aktionstagen wie Black Friday, Singles Day oder Cyber Monday scheffelt die US-Wirtschaft immer noch Milliarden. Gemäss Korte spenden Amerikaner ihr Geld lieber, als es zu horten, ganz nach dem Motto: So lange ich Geld habe, gebe ich es aus. Und doch gibt es in letzter Zeit Anzeichen dafür, dass sich das Wirtschaftswachstum abschwächt. Die vermögende Schicht beginnt zu sparen, die Kauflaune bei Investoren sinkt und die Zahl der Börsengänge nimmt ab. Für den Wirtschaftskorrespondenten sind die Verschuldung der Bevölkerung und die Überbewertung gewisser Firmen eine Bedrohung für die Ökonomie.Jens Korte rechnet für die Wahlen im nächsten Jahr mit einer engen Ausgangslage. Die Klimadiskussion spiele keine Rolle. Den Amerikanern seien Themen wie Migration, Gesundheitsversorgung und Wirtschaftswachstum wichtiger. Gelingt es den Demokraten, sich auf einen Kandidaten zu einigen, könnten sie Trump ablösen.

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