Der Altstätter könnte einer Geschichte des Schweizer Schriftstellers Walther Kauer (1935 – 1987) entsprungen sein. In dessen Roman «Spätholz» wartet der siebzigjährige Bauer Rocco Canonica in seiner Küche auf die Gemeindearbeiter, die früh morgens ein Gerichtsurteil vollstrecken sollen. Es geht um den Nussbaum vor dem Haus, der einem reichen, zugezogenen Villenbesitzer die Sicht auf den See versperrt. Während der Bauer, zu allem entschlossen, sein Gewehr reinigt, erinnert er sich an die verschiedenen Stationen seines Lebens.Seit der Schule hier gelebt und gearbeitetPius Huber, ein Mann mit Geburtstag an Weihnachten, wird dieses Jahr fünfundsiebzig. Seine Waffe ist Papier, seine Munition sind die Sätze darauf. Der Bauer wehrte sich bis vor Bundesgericht, in einem Rechtsstreit, der sich über zwei Jahrzehnte zog. Inzwischen ist der Kampf verloren, sind die Bagger aufgefahren.Huber ist enttäuscht, verärgert und des Lebens, scheint es, nicht mehr richtig froh. «Vor sechzg Johr bin i us de Schuel cho», sagt er. «Sit do han i do glebt und gschaffet.» – «Do», das sind Hubers Haus an der Trogenerstrasse 67, das Ökonomiegebäude, die 1,86 Hektaren eigenes Land sowie 9 Hektaren Pachtland.Die Trogenerstrasse liegt zwischen dem Haus und dem Südhang, durch den sich, parallel zu ihm, die neue Donnerstrasse Richtung Osten zieht. Neben Strassen, Wegen und Anlagen für die Wasser- und Stromversorgung sind auch Revitalisierungen von Bachläufen geplant.[caption_left: Zwischen Pius Hubers Haus und der im Vordergrund erkennbaren Erschliessungsstrasse liegt
die Trogenerstrasse. Links im Hintergrund ist das ehemalige Restaurant Ziel zu sehen.]Kurz gesagt, entsteht ein neues Baugebiet; es ist ungefähr fünfeinhalb Hektaren gross. Parzellen wurden geändert, damit der Boden sich möglichst gut nutzen lässt. Nun wird die Erschliessungsstrasse gebaut.Der Auflagebericht mit Umlegungsplan aus dem Jahr 2007 ist mit Plänen und Tabellen ungefähr gleich dick wie Kauers «Spätholz», im Gegensatz zum Roman aber von einer quälenden Nüchternheit. Der Bericht ist ein Musterbeispiel für ein Papier, das alles detailliert erklärt und den Betroffenen am Ende trotzdem ratlos mit der Frage zurücklässt, was all das für ihn am Ende zu bedeuten hat.An Bauland hatte der Rentner kein InteresseStatt vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr zu sehen, versteifte Pius Huber sich auf das Vordergründige: Für die Erschliessungsstrasse sollte ihm Land abgeknöpft werden. Er bringt als Zwangsenteigneter den Ärger auf die Formel: «Ich musste schönsten Boden hergeben, damit die Stadt ihr weit weg liegendes Land erschliessen kann.»Sie ist einer von eineinhalb Dutzend Grundeigentümern. 1,6 Hektaren gehören ihr, von denen sich 1,1 Hektaren für Wohnhäuser nutzen lassen. Die Fläche der Stadt entspricht etwa 15 der insgesamt sicher 50 Bauplätze.[caption_left: An diesem Südhang wird es am Ende sicher 50 Bauplätze haben.]Entschädigung hin oder her, Huber wollte nichts hergeben. Der Rentner fragt: «Was habe ich davon, wenn sich ein Teil meiner Landwirtschaftswiese in wertvolles Bauland verwandelt, wo ich doch an Bauland gar kein Interesse habe?»Im Rechtsverfahren hatte er argumentiert, sein Wiesland habe zugunsten des landwirtschaftlichen Hofes am Stück bestehen zu bleiben und dürfe nicht von einer Strasse durchschnitten werden. Die Gerichte hielten ihm entgegen, der landwirtschaftliche Betrieb sei wegen des Verlusts von 3400 m2 nicht in seiner Existenz bedroht. Er sei vielmehr dadurch gefährdet, dass der Bauer für den dauerhaften Fortbestand sowieso über zu wenig eigenes Land verfüge. Auch mit weiteren Begründungen fand Huber vor Gericht kein Gehör. Vereinfacht zusammengefasst, rügte Huber, die Stadt habe in den Neunzigerjahren zu wenig vorausschauend geplant, die Erschliessungsstrasse sei eine schlechte Lösung.Huber blieb hartnäckig und ging bis vor Bundesgericht. Dieses befand, es sei nachvollziehbar gezeigt worden, dass die neue Donnerstrasse die «einzig zweckmässige Lösung zur Erschliessung» des neuen Baugebiets sei.Huber wehrte sich gegen alles, die Landumlegung, die Enteignung und bekämpfte auch die vorgesehene Kostenverteilung gemäss einem 2009 bestimmten Verteilschlüssel. Huber wollte nicht nur den Verzicht auf die Erschliessungsstrasse, sondern wandte sich auch gegen eine Erhebung von Verfahrens- und Erschliessungskosten.«Nicht mehr diskutier- und änderbar»Die letzte Post bekam der Bauer am 3. März von der Stadt. Nachdem die Verfahren rechtskräftig beendet und die Landumlegung «nicht mehr diskutier- und änderbar» sei, würden demnächst die bis heute aufgelaufenen Verfahrenskosten in Rechnung gestellt, schrieb die Stadt. Ein Handlungsspielraum für die Erörterung anderer Möglichkeiten zur Strassenführung sei «nicht vorhanden».Pius Huber mag’s nicht glauben, sitzt aber am kürzeren Hebel.Statt ihn nach den Kosten aus dem Rechtsstreit zu fragen, könnte man genauso gut eine Schachtel Streichhölzer vor Huber entleeren und wissen wollen, wie viele Zündhölzchen er sehe. Die genaue Summe ist längst seiner Kontrolle entglitten. «Hunderttausend Franken», meint der Bauer, doch es klingt wie eine grobe Schätzung. Klarer ist der von der Stadt erhobene Betrag, der auf Huber entfallende Anteil der Verfahrens- und Erschliessungskosten. Voraussichtlich hat der Rentner eine Summe in der Grössenordnung von 350000 Franken aufzubringen, tendenziell eher noch mehr.Als Entschädigung für die Landumlegung und Neuzuteilung gelangte Pius Huber zu zwei Baugrundstücken mit einer Gesamtfläche von knapp 3000 m2 und – gemäss dem Brief der Stadt – einem «heutigen Marktwert von schätzungsweise rund 2,4 Mio. Franken. Pius Huber sieht das ganz und gar nicht mit der Freude, die ein anderer womöglich hätte, sondern meint ironisch: Weil sein Boden, der für ihn noch immer der gleiche Boden sei, nun mehr Wert habe, gebe ihm die Bank ja gewiss einen Kredit. Er denkt an insgesamt rund eine halbe Million.Das Geld benötigt er, um Dinge zu bezahlen, die er nie auch nur im Ansatz haben wollte. All die Rechnungen begleicht er deprimiert mit Geld, an dem ihm ebenfalls noch nie gelegen hat. Rechnung über einen Betrag von 28000 FrankenEiner der Hausbesitzer im Baugebiet ist Andreas Zünd. Er hat im Rahmen von Landumlegung und Erschliessung schon früher eine Rechnung von vier-, fünftausend Franken erhalten und bekam nun eine weitere zugeschickt. Zahlungsfrist: zwei Monate. Rechnungsbetrag: gut 28000 Franken. Damit hat es sich noch nicht: Weitere Kosten (allerdings sehr viel geringere) sind absehbar.Gemäss einem 2009 festgelegten Kostenschlüssel müssen sich alle Grundeigentümer an den Verfahrens- und Erschliessungskosten beteiligen, sofern sie einen wirtschaftlichen Nutzen haben.Zumal Andreas Zünd und seine Gattin zusätzliche 84 Quadratmeter sowie neue Strom- und Wasseranschlüsse erhalten haben, ist die Rechnung zwar gut nachvollziehbar. Der Landzuwachs ist allerdings von Auge nicht als deutlicher Mehrwert erkennbar und die hinter dem Haus neu entstehende Strasse kein Vorteil. Zudem ist die Umgebung während eines Jahres eine Baustelle.Obschon Zünd, der nie Einsprache erhoben hatte, von der Rechnung nicht überrascht wurde, erlebte er den erhobenen Rechnungsbetrag doch als Schock. Dies um so mehr, als früher kommunizierte Zahlen deutlich unter dem nun zu bezahlenden Betrag gelegen hatten. Andreas Zünd ist – unbestrittener Verfahrenstransparenz zum Trotz – erstaunt.Die Erfahrung, die er als Hauseigentümer gerade machen muss, ist ihm neu: Für etwas, das er «nicht bestellt» und selber nie gewollt hat, werden nun fast dreissigtausend Franken eingezogen.