15.03.2022

Am Ich arbeiten – auch für andere

Silvia Hermann, die ehrenamtlich viel geleistet hat, leitet das Seminar Soziales Engagement. Sie kennt Menschen, die sich viel Ärger erspart hätten, wäre ihnen wertschätzende Kommunikation schon früher vertraut gewesen.

Von Interview: Gert Bruderer
aktualisiert am 02.11.2022
Seit über 30 Jahren ermöglicht das Seminar Soziales Engagement jedes Jahr die Weiterbildung in Sozial-, Fach und Handlungskompetenz. Im Rheintal hat der Lehrgang letztmals vor fünf Jahren in Widnau stattgefunden. Nun steht seine Durchführung in Altstätten bevor.Silvia Hermann, welches war Ihr erstes soziales Engagement?Silvia Hermann: Mit neun habe ich die Kinder der damaligen «Prestegg»-Wirtsleute gehütet, und als älteste von sieben Geschwistern habe ich auch zu meinen Brüdern und Schwestern geschaut.Und als Sie dann erwachsen waren?Im STV Altstätten war ich Aktuarin und Presseschreiberin, ich habe das Kinderturnen mitgegründet, es geleitet und viele Reigen für Unterhaltungen einstudiert. 1984 habe ich in Altstätten die Spielgruppe gegründet, später das Familienforum ins Leben gerufen und präsidiert sowie mit ihm den Bildungsmarkt und das Lernfestival organisiert. Ich war auch Gründungsmitglied der ehemaligen Schnitzelbänkler-Gruppe Galgenvögel und habe mit einer Kollegin das Projekt «Von Beruf Eltern» aufgebaut und Bildungsreihen durchgeführt.Wo fehlt es an einsatzwilligen Kräften?Sie dürften in allen denkbaren Bereichen willkommen sein. Meiner Erfahrung nach ist es leichter, einsatzwillige Kräfte zu finden, wenn das Engagement befristet ist oder sporadisch erfolgen kann. Hingegen wird eine Verbindlichkeit über einen längeren Zeitraum eher gescheut. Das ist auch verständlich, angesichts der heute vielen Freizeitmöglichkeiten.Heute leiten Sie einen Lehrgang für soziales Engagement. Wieso braucht es den?Weil er Interessierten einen grossen Einblick in die sozialen Angebote vor Ort ermöglicht und sie erfahren, wie sich herausfordernde Situationen am besten meistern lassen. Gestärkt werden die persönlichen, fachlichen und sozialen Kompetenzen von Menschen, die sich für andere Menschen interessieren.Ich stelle mir vor, wer auf die Idee kommt, sich für etwas einzusetzen, weiss bereits, wofür.Oft ist das nicht der Fall. Lernt man Institutionen kennen, gilt das auch für ihr Zielpublikum. Die Referierenden des Seminars erzählen uns von ihrem Alltag, man sieht bisher nicht erkannte Möglichkeiten, was oft sogar ein Anstoss für eine Umschulung sein kann.Tatsächlich?Ja, ich kenne sogar einige ehemalige Führungskräfte, die noch etwas anderes als den Erfolgsdruck kennen lernen wollten und in ein neues, soziales Betätigungsfeld wechselten.Nennen Sie uns bitte drei Dinge, die wir im Seminar lernen und die nötig sind, wenn wir soziales Engagement leisten wollen?Die Selbst- und Fremdeinschätzung, das Kennenlernen der eigenen Werte und wertfreies Verhalten sowie das Anerkennen der eigenen Stärken und Schwächen.Kennen wir die eigenen Stärken und Schwächen denn nicht?Die meisten oder viele kennen ihre Schwächen besser. Denn wie weiss man, ob etwas, das einem selbst leichtfällt, einem anderen nicht vielleicht Mühe bereitet? Ich sehe das zum Beispiel dann, wenn eine Teilnehmende vor Publikum eine kurze Einleitung macht und später jemand zu ihr sagt, das sei super gewesen. Dem Gegenüber ist dann nicht bewusst, wie schwer der betreffenden Person dieser Auftritt unter Umständen gefallen ist.Der Lehrgang legt Wert auf Kommunikation. Was heisst das?Es geht darum, die Sprache bewusst zu gebrauchen. Ich kenne vierzig-, fünfzigjährige Teilnehmende, die sagen, wären sie mit wertschätzender Kommunikation viel früher vertraut gewesen, hätten sie sich viel Ärger im Alltag ersparen können.Nennen Sie uns doch bitte ein eindrückliches Beispiel für kommunikatives Versagen!Einbahnkommunikation wie diese: «Bei uns ist es immer so.» Oder: «I bi dä Chef.» Oder: «Das kannst du gar nicht wissen.» Auch Gleichgültigkeit à la «Red du nur» ist ein Beispiel. Oder: «Du mit dine gschpunnene Ideeä.»Wenn es darum geht, solche Aussagen vermeiden zu lernen, müsste der Kurs eigentlich übervoll sein.Dazu sage ich nur: Der Kurs ist tatsächlich für alle gedacht und kann für alle sinnvoll sein. Übrigens kamen auch schon zwei Kantonsratsmitglieder, das hat mich besonders gefreut.Auch die Konfliktbewältigung ist im Kurs ein Thema. Können Sie uns sagen, wie man Konflikte vermeiden kann?Zum Beispiel, indem man nicht rechthaberisch ist und versucht, sich in die Rolle des anderen Menschen hineinzuversetzen – oder indem man durchatmet, bevor man zum Beispiel auf eine Provokation reagiert.Hatten Sie Begegnungen mit Menschen, die erst durch das Seminar Soziales Engagement erfuhren, wofür sie sich einsetzen wollen?Spontan fällt mir die Landschaftsgärtnerin ein, die Sozialarbeit studierte. Mindestens die Hälfte der Teilnehmenden findet eine neue Orientierung, ob beruflich oder ehrenamtlich. Das heisst, sie sehen für sich eine neue Einsatzmöglichkeit im sozialen Bereich. Im letzten Seminar war eine kaufmännische Angestellte, die danach zur Suchtberatung wechselte – dies in der festen Absicht, Sozialarbeiterin zu werden.Angenommen, ich möchte alte Menschen unterstützen. Dann kann ich mich doch einfach bei Pro Senectute melden.Das stimmt, und Pro Senectute bietet auch eine Einarbeitung an. Doch der Einsatz ist dann auf eine bestimmte Zielgruppe ausgerichtet. Unser Lehrgang ist hingegen breit gefächert und gibt auch eine Antwort auf die Frage, ob für eine bestimmte Person die von ihr gewählte ehrenamtliche Tätigkeit für sie auch wirklich die bestmögliche ist. Die persönlichkeitsbildenden Elemente sind im Kurs sehr ausgeprägt.Welche Art von sozialem Engagement ist besonders anspruchsvoll? Sterbebegleitung? Demenz?Das lässt sich so nicht sagen. Ob jemandem etwas schwer- oder leichtfällt, hängt stark von seinen persönlichen Fähigkeiten ab. Was für den einen oder die eine ein Segen ist, kann für jemand anderen der Horror sein. Was einem am besten liegt, gilt es herauszufinden.Falls sich jemand schon seit langem sozial betätigt – kann der Besuch des Lehrgangs trotzdem sinnvoll sein?Ja, auch mit dem Ausblick auf allfällige Veränderung. Bin ich (noch) am rechten Ort? Gäbe es für mich noch etwas anderes? Kann ich meine aktuelle Situation so gestalten, dass mich meine Tätigkeit noch mehr befriedigt? Auf solche Fragen eine Antwort zu finden, ist immer sinnvoll.Haben Sie selbst das Seminar auch schon besucht?Nein und ja. Als Leiterin bin ich in gewisser Weise immer auch Teilnehmerin.Was kann der Kurs Ihnen noch bringen?Das Gleiche wie allen. Wie gesagt, ich kann ihn nur als bereichernd empfehlen. Seminar ist stark subventioniertDas Seminar Soziales Engagement ermöglicht den Besuch sozialer Einrichtungen der Region und vertieft das Wissen über die Herausforderungen im eigenen gesellschaftlichen Umfeld. Auch an der Selbstkompetenz wird gefeilt, denn wer helfen will, tut gut daran, sich selbst zu kennen. Ein Informationsanlass findet am Dienstag, 29. März, von 9 bis 11 Uhr im evang. Kirchgemeindehaus in Altstätten statt. Eine Anmeldung ist erbeten. Der Lehrgang findet vom 26. April bis 4. Oktober jeweils an einem Dienstagvormittag statt, wobei vier dieser Halbtage an zwei ganzen Tagen zusammengefasst sind. Das Seminar organisieren gemeinsam die Caritas St. Gallen und die Arbeitsstelle Diakonie der Evang.-ref. Kirche St. Gallen. Weil beide Landeskirchen den Kurs subventionieren, haben die Teilnehmenden einen Beitrag von lediglich 900 Franken zu entrichten. Als Kursleiterin wirkt die Altstätterin Silvia Hermann-Segmüller. Sie ist Leiterin des Altstätter Familien- und Begegnungszentrums Reburg. Zuvor hatte Silvia Hermann beim Verein Swisscross als Geschäftsstellenleiterin gewirkt und sich für die Integration von Menschen mit psychischer Beeinträchtigung ins Arbeitsleben eingesetzt. (gb)Anmeldung und Auskunft: s.hermann@kompetenzwerkstattgmbh.ch, Tel. 071 755 61 20 oder 079 678 97 63

Abo Aktion schliessen
News aus der Region?

Alle Geschichten, alle Bilder

... für nur 12 Franken im Monat oder 132 Franken im Jahr.