25.07.2018

Als das Dritte Reich näher rückte

Eine Gedenktafel war Auslöser zu dieser Serie. Die Recherche hat Interessantes ergeben, dank Zeitzeugen, wie etwa Hans Schwendener, der Sohn eines Zollbeamten in Rheineck. Er kann sich an eine Evakuation der Bevölkerung des Grenzstädtli erinnern.

Von Kurt Latzer
aktualisiert am 03.11.2022
Kurt LatzerGenau lässt sich nicht sagen, wo genau die Gedenktafel einst gehangen hat, die heute auf einem Stein in einer Rabatte beim Hotel Hecht in Rheineck zu sehen ist. Bisher hat die Recherche den Beweis zum einstigen Standort der Tafel nicht erbracht.Hingegen haben die Gespräche mit Zeitzeugen viel Interessantes aus der Zeit kurz vor und bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs an den Rheintaler Grenzen geliefert. So lieferte die Recherche Hinweise auf Publikationen, wie etwa das Buch «Grenzwächter und Zöller, Erlebtes 1893–1979 von Leonhard Grässli». Einer, der sich an die Zeit im ehemaligen Rheinecker Zollhaus erinnert, ist Hans Schwendener, heute im Züribiet zu Hause.Gleich alt wie die Festung HeldsbergAm 31. Januar 1938, im Jahr, als die Nazis in Österreich einmarschierten und deutsche Truppen im Nachbarland Vorarlberg einrückten, erblickte Hans, Sohn des Grenzwächters und Zöllners Rudolf Schwendener das Licht der Welt. Wegen der anrückenden deutschen Soldaten befahl der Bundesrat den Bau von Befestigungen wie der Festung Heldsberg. Ein Jahr später, von 1939 bis 1941, folgte der Bau der Festung Halde, zusammen mit der Panzersperre von Staad bis Lutzenberg.Rudolf Schwendener war bis 1948 in Rheineck stationiert. An die Vorbereitungen für den Ernstfall kann sich sein Sohn Hans nicht erinnern. Aber an die Erzählungen aus jener Zeit, wie etwa der Nacht, «als wir aus Rheineck abhauen mussten, weil man den Übertritt der Deutschen befürchtet hatte».Im Buch mit Erinnerungen Leonhard Grässlis ist unter 14. Mai 1940 zulesen: «Um Mitternacht verlassen die aus dem Schlafe aufgeschreckten Frauen und Kinder, beladen mit schweren Rucksäcken, verstört und überstürzt, die drei Wohnungen des Zollgebäudes.» Die Anordnung zur Evakuierung habe der Postenchef gegeben. «Er befürchtete, das Verbleiben der Frauen und Kinder im Zollhaus könnte zu gefährlich sein, die Brücke könne auch irrtümlich oder aus Unachtsamkeit hochgehen und mit ihr unser Zollhaus.»Bomber, Stanniolstreifen und Quartier im BunkerDie eindrücklichsten Erinnerungen an die Kriegszeit von Hans Schwendener setzen mit den Bombardierungen der Alliierten ennet des Bodensees ein, noch bevor er 1945 in die Primarschule eintrat. «Als Kinder haben wir eine schöne, unbeschwerte Zeit gehabt. Tagsüber und an Abenden waren wir wie vogelfrei», sagt Schwendener. Der Vater habe Tag und Nacht Bereitschaft gehabt. Wann immer beim Zollhaus etwas los war, habe er einrücken müssen. Diesem Umstand hatten Hans Schwendener, seine Geschwister und andere Kinder im Zollhaus die ungewöhnliche Freiheit zu verdanken. An Abenden, bei schönem Wetter, hätten sie von einer Anhöhe oberhalb des Städtli aus gesehen, wie die Bomber in oder aus Richtung des deutschen Bodenseeufers geflogen kamen. «Zur Irreführung des Radars haben die Bomberbesatzungen Stanniolstreifen abgeworfen, die zum Teil in unserer Nähe zu Boden regneten», sagt der Zöllnersohn. In Deutschland waren Erwachsene und Kinder aufgefordert worden, die Stanniolstreifen der Alliierten einzusammeln und abzuliefern. Weil es gegen Mitte bis Ende des Krieges im Drittgen Reich an vielem mangelte, galt auch Stanniol als kriegswichtiger Rohstoff. «Auch wir haben ganze Sträusse der Streifen eingesammelt. Ich kann mich nicht erinnern, was mit dem Stanniol geschehen ist. Abgeben jedenfalls mussten wir die Streifen nicht», sagt Hans Schwendener.An die Evakuierung Rhein-ecks im Dezember 1940 kann sich der Grenzwächtersohn nicht erinnern. In den späteren Jahren habe seine Familie das Zollhaus ein paar mal verlassen müssen. An einen Fall kann sich Hans Schwendener erinnern. «Mit Sack und Pack hat man uns nach Thal geschickt, wo wir in einem Bunker Quartier fanden.» An die Gedenktafel, die an den Einsatz der Schweizer Armee am Alten Rhein erinnert, kann sich der Grenzwächtersohn erinnern. «Ich habe das Bild vor Augen. Unterhalb des Zollhauses verlief entlang des Rheins ein Weg, gesäumt von Bäumen. In Abständen standen dort Einmann-Bunker», sagt Hans Schwendener. Er glaubt, die Gedenktafel an einem der Schindler-Bunker montiert gesehen zu haben.«Die Gedenktafel, die heute an einem Stein angebracht ist, stammt nicht aus den 1950er-Jahren», sagt Schwendener. Denn im Laufe des Jahres 1948 sei sein Vater Rudolf an seinen Heimatort Buchs versetzt worden.HinweisZitate aus dem Buch «Grenzwächter und Zöllner – Erlebtes 1893–1971 von Leonhard Grässli». Herausgeberin Nina Grässli, erschienen Ende 2003 in Bergisch Gladbach, Deutschland.

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