Leise und bedächtig schlägt Sina Zünd die Tasten des Steinway-Flügels an. Nachdem sie ein paar Takte der Melodie gespielt hat, wissen Kenner, sie spielt «Nuvole Bianchi». Geschrieben hat es einer der bekanntesten Pianisten und Komponisten Italiens: Ludovico Einaudi.Über die in rotes Licht getauchte Bühne zieht Nebel. Er hüllt die Pianistin ein und erzeugt eine romantisch anmutende Atmosphäre.Sehen und Hören sind die einzigen Sinne, mit denen Sina Zünd ihr Publikum ansprechen kann. Sie spielt zwar in der Aula der Kantonsschule, Besucher können aber das Lampenfieber der Interpretin nicht spüren und den Duft der Aula nicht riechen. Sie sind nicht zugelassen. Es gilt ein Veranstaltungsverbot.[caption_left: Sina Zünd (Klavier, Klasse 3Fb) aus Altstätten mag ruhige und langsame Stücke. Sie spielt im Video «Nuvole Bianchi» von Ludovico Einaudi auf dem Steinway-Flügel.][caption_right: Bild: Screenshot / Kamera und Schnitt: Felix Bohle.]Dieses verunmöglicht es der Schule, zum Kantikonzert zu bitten. Die jungen Musikerinnen und Musiker bitten die Öffentlichkeit dennoch, ihnen Augen und Ohren zu leihen. Dazu haben sie vor laufender Kamera gespielt und mehrere Einzelvideos produziert. Reihte man alle aneinander, entstünde ein Konzert in gewohnter Kantimanier mit neunzehn Liedvorträgen. Sie ergeben einen Querschnitt von der klassischen bis in die zeitgenössische Epoche.Ausgeklügelte Alternative zum KantikonzertBereits im letzten Sommer spielten die Kantischüler ein virtuelles Konzert. Da es nur auf der schulinternen Plattform ge-streamt wurde, schaute ihnen jedoch kaum jemand zu. Die Musikschüler haben nun mit ihrem Lehrer Felix Bohle eine ausgeklügelte Alternative auf die Beine gestellt. «Die Schule bietet den jungen Leuten einen geschützten Rahmen für ihre persönlichen Daten. Jeder Schüler muss die Möglichkeit haben, anonym zu bleiben», sagt Felix Bohle. «Deshalb dürfen wir die Videos nicht auf YouTube veröffentlichen.»Mit der Bildungsplattform EDU nanoo.tv hat die Kantonsschule Heerbrugg einen Weg gefunden, ein grösseres Publikum zu erreichen, ohne dass der Datenschutz in die Quere käme. «Jeder Schüler entscheidet selbst, ob und wem er den Link zu seinem Video weitergibt.»So verschieden die Schüler und Musikstile sind, so unterschiedlich haben sie die Videos produziert. «Jeder hat sein Bestes gegeben», sagt Felix Bohle. Die erbrachten Leistungen lagen auf gewohntem Niveau. Je nach Vorliebe zeichneten die Jugendlichen das Video zu Hause auf oder nutzten die Kulisse der Aula und ihre Lehrer als Produzenten. Ensembles zeigen sogar einen gemeinschaftlichen Auftritt. Zum Beispiel spielen die Mitglieder der FMS-Band für sich. Die einzeln aufgezeichneten Sequenzen ergeben nach dem Schnitt ein Ganzes.Das erste Konzert und gleich vor der KameraVor neun Jahren hat die Altstätterin Sina Zünd mit dem Klavierspiel begonnen. Jetzt hätte sie zum ersten Mal vor einem grösseren Publikum in der Kanti gespielt. «Es war schon komisch, direkt vor einer Kamera zu spielen», sagt sie. Sie sei nicht der Typ, der gern im Mittelpunkt stehe. Sich vorzustellen, nur vor dem (filmenden) Lehrer zu spielen, half ihr, die Aufregung zu überwinden. Das habe ihr gut getan. «Ich freue mich darauf, bald wirklich vor Publikum zu spielen.» Hier hat die Drittklässlerin mit Schwerpunkt Pädagogik das Gelernte auf sich selbst angewendet.«Handbewegungen und Töne sind exakt aufeinander abgestimmt», sagt Sina Zünd zum fertigen Video. Sie ist erstaunt, wie professionell ihr Lehrer es geschnitten hat. Die Pianistin gehört nun dem ersten Jahrgang an, der eine professionelle Aufnahme als Andenken hat. Zeigt Sina Zünd das Video später vielleicht einmal ihren Kindern, können sie nachempfinden, wie sie als Schülerin versuchte, ihre Gefühl mittels der Flügeltasten auszudrücken. «Ich mag ruhige und langsame Stücke», sagt sie.Sie spielt sie gern, wenn es gerade stressig ist und sie abschalten möchte. «So versuche ich, zu mir zu finden.» In «Nuvole Bianchi» hat Sina Zünd Ruhe gefunden und die Kraft, sich zu überwinden.«Mir hat das Projekt Spass bereitet. Haben auch die Schüler Freude und sind motiviert, entstehen solch schöne Beiträge», sagt Felix Bohle. Der Aufwand, den Lehrer und Schüler erbracht haben, habe sich gelohnt. Der Präsident der Fachgruppe Instrumental mag sich vorstellen, die neu gewonnenen digitalen Fertigkeiten auch zu nutzen, wenn das Publikum wieder ein Kantikonzert besuchen darf. Zum Beispiel als Werbung auf der Kantiwebseite.Etwas fehlt dem Konzert allerdings. Es ist der Applaus. Gewiss hat der eine oder andere eine Idee, wie er oder sie Wertschätzung kundtun kann.Hinweis: Alle zwei Wochen verlinkt die Kanti fünf Produktionen unter www.ksh.edu. Dort können sie fünf Tag lang angeschaut werden oder bei Felix Bohle unter felix.bohle@ksh.edu bezogen werden.