Einen «Erfahrungsbericht aus dem Vorhof der Hölle» nennt der 76-jährige Ingenieur Al-Saadi sein Buch. Beruflich hatte er eng mit der einstigen Wild Heerbrugg zu tun, privat flüchtete der Unternehmer 1980 mit seiner Frau und den drei Kindern zunächst über Jordanien nach Ägypten und von hier in die Schweiz. Ein Mitarbeiter des Heerbrugger Unternehmens half der irakischen Familie, von der Botschaft in Kairo ein Visum zu bekommen.Sieben Jahre lebten die Al-Saadis in Heerbrugg an der Weedstrasse. Die beiden Töchter Reem und Rahsaa sowie Sohn Haidar gingen hier zur Schule. Schulleiter Jürg Lutz erinnert sich an die Al-Saadis als «sehr angenehme Familie», es sei eine Freude gewesen, mit ihnen zu tun zu haben.Fritz Staudacher fielen fast die Kugeln aus der HandNachdem Wild Heerbrugg durch TuAma Al-Saadi bereits in den Siebzigerjahren zu einem 8-Mio.-Franken-Auftrag gekommen war, führte ein weiterer Grossauftrag 1981 ausgerechnet an Heiligabend zu einer Nachricht im Radio. Obschon Fritz Staudacher, der damalige Werbeleiter und Pressesprecher des Rheintaler Unternehmens, die Medienmitteilung selbst verbreitet hatte, fielen ihm beim Christbaumschmücken fast die Kugeln aus der Hand. Mit der landesweiten Verbreitung der Wirtschaftsnachricht hatte er nicht gerechnet.Mit dem Grossauftrag über 24 Mio. Franken endete für die Wild-Abteilungen Programmetrie und Spezialkonstruktionen die Kurzarbeit, die Auslastung war gesichert. Al-Saadi schreibt in seinem Buch: «Der Laie kann sich kaum vorstellen, welche Bedeutung die schweizerische Vermessungs- und Kartierungstechnologie für Entwicklungs- und Schwellenländer wie den Irak hatte und auch heutzutage für die Planung und Implementierung grosser Infrastrukturprojekte hat.»Al-Saadi und Staudacher wurden gute FreundeAl-Saadi, der in seiner Heimat schon als junger Mann Bewässerungsprojekte geleitet und Strassen und Brücken gebaut hatte, betätigte sich früh als Opponent Saddam Husseins und dessen Regierung. Nur zwei Wochen nach der Ankunft in der Schweiz gründete der Ingenieur das irakische Komitee für Bürgerrechte in der Schweiz. Mit Worten kämpfte er auf höchster politischer Ebene international für eine Wende im Irak, wobei er diesen Widerstand finanziell unterstützte.Die Zeit in der Schweiz erstreckte sich über sieben Jahre. Al-Saadi, der für zwanzig Wild-Geräte die Bedienungsanleitung auf Arabisch übersetzte, wurde ein enger Freund Fritz Staudachers. Wie sich viel später herausstellte, hatten sie beide als Jugendliche das Buch «Eins, zwei, drei … Unendlichkeit» des russischen Physikers Georges Gamow gelesen.Staudacher nennt TuAma Al-Saadi im Nachwort von «Bedrohte Welt» einen der besten Unternehmer und Ingenieure sowie einen «Mann der Tat». Al-Saadis Worte im letzten Kapitel, meint Staudacher, «sollten allen zu denken geben». Al-Saadi spricht sich darin für eine Entwaffnung aller extremistischer Gruppierungen und zur Umschulung der Betroffenen etwa zugunsten von Umweltschutz oder Entwicklungshilfe aus, für ein Zusammenspannen massgeblicher Länder, zudem sei die Zuwanderung potenziell radikaler Moslems zu unterbinden.Der in Widnau lebende Fritz Staudacher half seinem irakischen Freund bei der Entstehung des 176 Seiten starken Buches, genauso wie Andreas Lachenmeier aus Heerbrugg, ein studierter Chemiker, der bei der einstigen Viscosuisse in Widnau tätig war und Staudacher vor sechs Jahren kennenlernte. Als Staudachers Biografie über den Uhrmacher, Mathematiker, Astronom und Instrumentenbauer Jost Bürgi veröffentlicht worden war, bat Lachenmeier den Verfasser, ihm ein Exemplar zu signieren. Nun hat Lachenmeier «Bedrohte Welt» aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt.Nahost-Experte Erich Gysling nennt das Werk Al-Saadis einen «bewegenden, aufrüttelnden Bericht». Bei seinem diesjährigen Vortrag an der Volkshochschule Rheintal wies Gysling auf Al-Saadis soeben erschienenes Buch hin.Mehrere Verwandte und Freunde «verschwanden»Nach den sieben schönen Jahren in der Schweiz zog die irakische Familie nach Jordanien, wo Al-Saadi bei der Planung einer «Revolution der irakischen Armee unter Mitwirkung der Bevölkerung» beteiligt war. Um das Problem mit der irakischen Luftwaffe zu lösen, kontaktierte Al-Saadi einen sehr guten Freund in der amerikanischen Botschaft in Amman. Er bat ihn, seine Regierung zu ersuchen, den ganzen Irak vorübergehend zur Flugverbotszone zu erklären, bis Saddams Regime gestürzt worden wäre. Doch die Amerikaner verneinten dies.Im März 1994 «befahl Saddam Hussein dem irakischen Geheimdienst, mich zu ermorden», berichtet Al-Saadi in seinem Buch, was die Flucht der Familie nach London zur Folge hatte. Mehrere nahe Verwandte und Freunde verschwanden – und kehrten nie wieder, unter ihnen ein Cousin. Er war Teil einer Runde gewesen, in der jemand anderer sich über Saddam Hussein einen Witz erlaubte.An politischer Spitze mitgewirktIn London lebt TuAma Al-Saadi noch heute. Bei seinem jüngsten Besuch in Heerbrugg betonte er, was auch im Buch zu lesen ist: «Der Irak hätte einen Schutzrahmen gebraucht, um demokratische Tugenden einüben zu können.» Die Amerikaner und ihre Mitstreiter «wollten, dass sich die Iraker selbst ihre Ordnung schaffen und zerschlugen dazu alle Strukturen. (…) Sie beförderten das Land in eine neue Sackgasse.»Nach dem Sturz des Saddam-Regimes im Jahr 2003 wurde Al-Saadi zusammen mit anderen Exilkollegen ins Land zurückberufen, wo er dem Irakischen Rat für Neuentwicklung und Wiederaufbau angehörte. Dieser Rat hatte den Auftrag, alle Ministerien zu reorganisieren. Al-Saadi war an der Reorganisation der Ministerien für Verteidigung, des Inneren und des Äusseren beteiligt und setzte sich zudem bei der Bekämpfung der Terroristen ein.Das Buch «Bedrohte Welt» enthält erst ungefähr die Hälfte eines umfangreichen Manuskripts. Ein weiteres geplantes Buch beschreibt eine Familiengeschichte und ist nichts für Zartbesaitete. Darauf lässt schon sein Titel schliessen: «Lass mich gebären, bevor ich gehenkt werde.»