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Altstätten 28.06.2024

Abtretender Chefredaktor Gert Bruderer: «Wichtig ist, bei aller Kritik fair zu bleiben»

2002 ist Gert Bruderer zum Chefredaktor des «Rheintalers» ernannt worden. Seit 2011 trägt er auch die Verantwortung für die «Rheintalische Volkszeitung». Zum bevorstehenden Rücktritt von seiner Funktion blicken wir während einer Fahrt mit dem Gaiserbähnli mit ihm zurück. Neuer Chefredaktor wird Andreas Rüdisüli.

Von Max Tinner
aktualisiert am 28.06.2024

Seit über 22 Jahren ist Gert ­Bruderer als Chefredaktor für die redaktionellen Inhalte des «Rheintalers» verantwortlich, und seit der Zusammenlegung der Redaktionen Anfang 2011 auch für die «Rheintalische Volkszeitung». Wie sich das Blatt in dieser Zeit profiliert hat, ist wesentlich sein Verdienst. Ende Juli gibt Gert Bruderer nun die Leitung der Redaktion ab. Er wird aber, nach einer kurzen Auszeit, ab Oktober weiterhin in einem 60-Prozent-Pensum für die Publikationen der Galledia Regionalmedien schreiben. Zu seinem bevorstehenden Rücktritt als Chefredaktor blicken wir mit ihm zurück – während einer Fahrt mit der Gaiserbahn den Stossberg hinauf …

Ich habe dich nicht von ungefähr für unser Interview zu einer Zugfahrt gebeten. Als langjährigem Kollegen sind mir deine häufigen mittäglichen Spaziergänge zum Stoss hinauf nicht entgangen. Wie kam es zu diesen? Wolltest du den Kopf vom oft hektischen Tagesgeschäft freibekommen?
Gert Bruderer: Ich weiss gar nicht mehr, weshalb ich damit angefangen habe. Aber bald einmal habe ich mir zum Ziel gesetzt, die Strecke in kürzerer Zeit zurückzulegen. Anfangs brauchte ich etwa eine Stunde, zuletzt war ich in 45 Minuten oben, immer bei zügigem Gehen. Das ist eine Strecke von etwa viereinhalb Kilometern bei einer Höhendifferenz von nicht ganz 500 Metern. Ich war auch recht stolz auf meine Steigerung. Aber nur, bis ich einem Altstätter Spitzenläufer davon erzählte.

Was hat der denn dazu gesagt?
Dass sein eigenes Ziel gewesen sei, so schnell wie das Bähnli auf den Stoss hinaufzukommen – also innert 12 Minuten. Und dass er es nur knapp nicht geschafft habe.Zurück hast du jeweils den Zug genommen. War das die eigentliche Motivation: einen Beitrag an den Erhalt der Zahnradbahn zu leisten?
Nein, und wenn wir ehrlich sind, besteht auch keine Notwendigkeit, die Bahnlinie zu erhalten. Die öV-Verbindung könnte genausogut mit einer Buslinie abgedeckt werden. Aber es ist wie mit vielem: Letztlich ist es gut, gibt es das Gaiserbähnli. Es wäre schade drum. Reden wir darüber, wie sich das Rheintal in den 22 Jahren, in denen du Chefredaktor bist, verändert hat.
Die Wirtschaft hat sich erfreulich entwickelt. Ich staune immer wieder über Firmen hier im Rheintal, die weltweit Einmaliges bieten. Das Rheintal ist auch spürbar gewachsen. Ich meine aber, dass die Infrastruktur mehrheitlich mithalten konnte – mit Ausnahme der Verkehrsinfrastruktur. Aber ich habe den Eindruck, dass es nun auch in dieser Hinsicht vorwärtsgeht. Das Agglomerationsprogramm ist auf gutem Weg. Dass es grenzüberschreitend angegangen wird, ist ein Fortschritt. In vielen Köpfen werden das St. Galler und das Vorarlberger Rheintal aber leider nach wie vor noch zu wenig als Einheit wahrgenommen.Die eine vereinigte Gemeinde Rheintal gibt es ebenfalls noch nicht.
Die Abstimmung zum G5-Zusammenschluss im Mittelrheintal ist grandios gescheitert. Und sie würde auch heute nicht angenommen, geschweige denn ein Zusammenschluss über noch mehr Gemeinden. Dafür ist der Leidensdruck noch nicht gross genug. Einige Schulgemeinden hingegen haben sich zusammengeschlossen. Aus gutem Grund. Es ist beeindruckend, welche Riesenaufgaben auch kleine Schulgemeinden bewältigen müssen. Siehe die aktuellen Schulraumplanungen in diversen Gemeinden. Alle Achtung, was diese Räte stemmen!Wie sieht aus deiner Sicht die Bilanz hinsichtlich der gesellschaftlichen Entwicklung aus?
Den Rheintalerinnen und Rheintalern bieten sich heute abwechslungsreichere Ausgangsmöglichkeiten als Anfang der 2000er-Jahre. Aber, und das sage ich ungern, in mancher Hinsicht sind die Städte dem Rheintal nach wie vor weit vo­raus. Am Beispiel der Gastronomie: Möchte jemand vegetarisch oder vegan essen, findet er hier meistenorts nur ein halbherziges Angebot in den Karten. Da wird ein bedeutender Trend verschlafen. Es gibt aber auch die andere Seite, die zeigt, dass sich bietendes Potenzial genutzt wird. Ein Beispiel dafür ist das Museum Prestegg in Altstätten mit seinen spannenden Sonderausstellungen. Mit dem «Haus des Weins» in Berneck oder der Aufwertung des Montlinger Bergli ist ebenfalls Hervorragendes realisiert worden.Was hat sich auf unseren Beruf  bezogen verändert?
Die Kommunikation ist stark professionalisiert worden und zwar sowohl seitens der Behörden als auch der Unternehmen. Teils allerdings auch nur vermeintlich. Es wird zwar schneller auf Anfragen von Medien geantwortet, aber teils nach wie vor mit inhaltlosen Phrasen. Wichtiges wird dann beschönigt, knapp gehalten oder gleich ganz weggelassen.Wenn wir die Entwicklung des Rheintals betrachten: Was haben wir als Journalisten dazu beigetragen?
Mit ungezählten Grundsatzar­tikeln und Leitartikeln haben wir wesentlich zur Meinungsbildung vor Abstimmungen beigetragen. Und ich darf überzeugt sagen, dass wir dabei den Pluralismus gewahrt haben. Es gab zwar immer wieder Beschwerden von Parteien, die sich ungleich behandelt fühlten – dass es solche Beschwerden aber von allen Parteien gab, zeigt, dass es keine Ungleichbehandlung gab.Du bist immer wieder mit spitzen Kommentaren aufgefallen, hast die Konfrontation nie gescheut. Es dürfte viele Leute im Tal geben, die hässig auf dich sind.
Nein. Die Leute, die mir gram geblieben sind, kann ich vermutlich an einer Hand abzählen. Und gerade die Kritisierten beschwerten sich erstaunlich selten – was sehr für ihre Kritikfähigkeit spricht. Wichtig ist mir immer, bei aller Kritik fair zu bleiben.Wenn sich heute ein junger Mensch für den Journalismus interessiert: Kannst du ihm oder ihr den Job empfehlen?
Einschränkungslos. Auch wenn selbst ich nicht sagen kann, wie unser Berufsbild in einigen Jahren aussehen wird. Es ist ja bereits nicht mehr dasselbe wie vor 22 Jahren. Den nur schreibenden Journalisten gibt es praktisch nicht mehr. Wir fotografieren, machen Videos – schwer zu sagen, was weiter dazu kommt. Es kann jedenfalls nicht schaden, auch etwas technikaffin zu sein. Als wir unsere erste News­plattform myrheintal.ch lancierten, waren wir eine der ersten Lokalzeitungen mit einer solchen. Mir lag viel daran, sie zu forcieren. Was wir heute mit rheintaler.ch haben, wird bestimmt nicht das Ende der Entwicklung sein. Und wenn dir der junge Mensch sagt, er möchte auch einmal Chefredaktor werden: Was sagst du ihm dann?
Dass er in dieser Funktion aussergewöhnliche Gestaltungsmöglichkeiten bekäme. Sie ist allerdings auch mit viel Verantwortung verbunden – vor allem der Leserschaft gegenüber.
Diese Verantwortung übergibst du nun in andere Hände. Was hat zu diesem Entschluss geführt?
Es sind private Gründe. Ich reduziere mein Arbeitspensum gleichzeitig auf 60 % und gewinne dadurch mehr Zeit für private Interessen. Ich denke aber auch, dass meine Leidenschaft fürs Schreiben dadurch sogar noch wachsen kann.

Andreas Rüdisüli wird neuer Chefredaktor

Andreas Rüdisüli

Am 1. August übernimmt An­dreas Rüdisüli die Rolle des Chefredaktors beim «Rheintaler». Der 49-Jährige war bereits in den vergangenen zwei Jahren publizistischer Leiter des Titels und verantwortet zugleich die Inhalte des «Werdenberger & Obertoggenburgers».
«Andreas Rüdisüli verkörpert für mich das Bild eines ­modernen Chefredaktors», sagt Verlagsleiter Martin Oswald. «Dabei stehen nicht in erster ­Linie eigene Recherchen und Kommentare im Fokus der Arbeit, sondern die behutsame Weiterentwicklung unserer Redaktion, der Inhalte und des digitalen Angebots.» Rüdisüli begann 2001 als Praktikant beim «Rheintaler». Nach der Diplomausbildung am MAZ in Luzern wurde er 2005 zum Stellvertretenden Chefredaktor ernannt, später zum Redaktionsleiter. 2022 verantwortete er das Relaunch-Projekt der Webseite und der News-App. Der moderne digitale Auftritt von «Rheintaler» und «W&O» war ein Meilenstein in der jüngsten Geschichte des Verlags. «Ich freue mich auf die neue Herausforderung. Gemeinsam mit unseren Redaktionen wollen wir unseren Journalismus noch spannender und noch relevanter machen», sagt Andreas Rüdisüli, der mit seiner Familie in St. Margrethen lebt. (red)


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