Lisa WickartEr ist dunkel, kalt und trüb und trotzdem lockt er zahlreiche Taucher an – der Bodensee. Obwohl es vor rund zwei Wochen erneut zu einem Tauchunfall gekommen ist, schätzt Tauchlehrer Richard Schröter den See als ungefährlich ein (siehe «Tagblatt» vom 21. August). Doch wie fühlt man sich tief unten im Bodensee wirklich, besonders, wenn man unerfahren ist? Genau das möchte ich mit einem Selbstversuch herausfinden.Ich bin jemand, der gut auf die Bezeichnung Wasserratte zutrifft. Schon immer habe ich es geliebt schwimmen zu gehen, egal ob See oder Meer. Als ich jedoch in der Umkleidekabine der Horner Tauchschule Tiefenstein stehe und versuche, mich in den knallengen Neoprenanzug zu quetschen, frage ich mich, wie ich mich so eingepackt im Wasser bewegen soll. «Genau so soll der Anzug sitzen», sagt Richard Schröter. Er ist für heute mein Tauchlehrer und er hilft mir als Anfängerin, die passende Ausrüstung auszusuchen. Zum Anzug kommen Füsslinge, Flossen und eine Taucherbrille hinzu. Noch ungelenkiger fühle ich mich, als er mir die Tarierweste mit der Tauchflasche über die Schultern hängt. Ich taumle nach hinten und er lacht. Klar, ich wusste, dass die Ausrüstung einiges wiegen wird, aber dass sie so schwer ist, überrascht mich doch. Nachdem wir beide ausgerüstet sind, stapfen wir Richtung See. Ich schaue an mir herab und fühle mich wie ein Astronaut, bereit für die ersten Schritte auf einem anderen Planeten. Im Pinguingang überqueren wir die Hauptstrasse, um ans Ufer zu gelangen. «Das ist eigentlich der gefährlichste Teil am Tauchen», sagt er und lacht.Der Himmel ist grau und das Wasser des Bodensees schwappt unruhig ans Ufer. Langsam setze ich einen Fuss ins Wasser. Ich gebe mir Mühe, auf den unebenen Steinen das Gleichgewicht zu halten, während in den See wate. Ich muss zugeben, langsam bin ich ein wenig aufgeregt. Wir blasen unsere Tarierwesten mit Luft auf, sodass wir an der Wasseroberfläche schwimmen und wir paddeln auf eine weisse Boje zu. Ungefähr 60 Meter vom Ufer halten wir an.Bei Wasser in der Brille kommt die PanikWir beginnen zuerst mit zwei Übungen für den Fall, das etwas schief läuft. Ich nehme den Atemregler in den Mund und atme ein. Ganz nach Schröters Anleitung lasse ich die Luft aus der Weste und schon tauche ich ab. Plötzlich fühle ich mich sehr leicht. Mein Tauchlehrer zeigt mir, wie man seinem Tauchbuddy im Notfall Luft gibt. Er reicht mir unter Wasser seinen Ersatzatemregler und ich ihm meinen. So weit, so einfach. Wir tauchen auf und ich fühle mich selbstsicher. Als wir erneut abtauchen, soll ich Wasser in meine Taucherbrille fliessen lassen, damit er mir zeigen kann, wie ich es während des Tauchens aus der Brille pusten kann. Ich hebe die Brille an und sie füllt sich mit Wasser. Reflexartig schliesse ich meine Augen, damit meine Kontaktlinsen bleiben, wo sie sind. Plötzlich packt mich die Angst und ich mache das, was man als Taucher niemals machen sollte: Ich tauche hektisch auf, reisse mir die Brille vom Gesicht und schnappe nach Luft. Ich bin erstaunt über meine Reaktion und sogleich möchte ich es nochmals versuchen. Als das Wasser meine Nase umhüllt, fühle ich mich wieder so, als ob ich keine Luft mehr bekommen würde und ich tauche viel zu schnell auf. Beim dritten Mal hält mich mein Tauchlehrer unter Wasser am Arm fest und ich versuche es erneut. Sein fester Griff gibt mir Sicherheit und endlich gelingt es mir, das Wasser aus der Brille zu blasen.Nun steht meinem ersten Tauchgang nichts mehr im Weg. Wir tauchen ab und lassen uns bis fast an den Grund treiben. Mit einem Handzeichen gibt mir Schröter die Richtung vor und ich beginne meine Flossen auf und ab zu bewegen. Das Wasser ist trüb und ich muss mich konzentrieren, auf die Umgebung zu achten, gleichmässig zu paddeln und den Tauchlehrer im Auge zu behalten. Je tiefer wir tauchen, desto kälter wird es und ich beginne leicht zu frösteln. Langsam wird die Sicht immer klarer und plötzlich bin ich umgeben von einem Wald aus Seegras. Ich bin fasziniert, von dem, was ich sehe. Ich tauche durch die langen Pflanzen und fühle mich wie in einer anderen Welt. Mein Tauchlehrer stupst mich an und zeigt auf einen Fisch, der an uns vorbei flitzt. In der Ferne erkenne ich plötzlich etwas anderes als nur Seegras. Wir schwimmen darauf zu und ich versuche zu erkennen, was vor mir liegt. Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein Teil eines versunkenen Schiffes. Aufgeregt strecke ich meine Hand aus und berühre das Holz, aber ich finde nicht heraus, was es ist. Später sagt mir mein Tauchlehrer an Land, dass es kein Schiff war, sondern ein alter Autoanhänger. Doch nicht ganz so spektakulär, wie gedacht.Schröter hält an und zeigt mir seinen Tauchcomputer, der wie eine Armbanduhr aussieht. Wir befinden uns bereits auf acht Metern Tiefe und ich bin überrascht, wie schnell das ging. Mit Handzeichen fragt er mich, ob ich noch tiefer tauchen mag. Ich signalisiere ihm «OK» und wir tauchen einen Abhang herab, weiter in das immer dunkler werdende Wasser. Hier unten scheint die Zeit stehen zu bleiben. Wir befinden uns mittlerweile auf zwölf Metern Tiefe und es sind kaum mehr Pflanzen zu sehen, nur noch der schlammige, muschelbedeckte Boden und die Weiten des Wassers. Mein Tauchlehrer deutet mit der Hand nach links und wir tauchen entlang dem Grund weiter Richtung Wasseroberfläche. Als ich auftauche, strahle ich. Ob ich nochmals runter möchte, fragt er. Unbedingt! Nach drei Mal Abtauchen und etwa 50 Minuten unter Wasser schwimmen wir zum Ufer zurück und ich schleppe mich erschöpft aus dem See.Zurück in der Tauchschule schäle ich mich aus dem klatschnassen Anzug. Mit feuchten Haaren, Wasser in den Ohren und ein wenig wackeligen Beinen verlasse ich die Tauchschule. Der Ausflug in die fremde Welt hat mich mehr beeindruckt, als ich es zuerst gedacht habe. Ich habe zwar keine exotischen Fische oder bunte Korallen gesehen, wie es sie im Meer gibt. Dafür fühlt man sich im trüben Seewasser wie ein Entdecker, denn man weiss nie, was einen ein paar Meter weiter erwartet.