10.03.2021

«52 Personen, die rausgeworfen werden»

Argentinische Arbeiter lassen kein gutes Haar an der Walzenhauser Just-Gruppe. Diese wehrt sich.

Von Thomas Griesser Kym
aktualisiert am 03.11.2022
Die Mitarbeitenden von Swiss Just Argentina wollen die Auslagerung ihrer Arbeitsplätze zu angeblich schlechteren Konditionen an eine Partnerfirma nicht hinnehmen und werfen der Just-Gruppe Verrat vor. Diese wehrt sich: Die Anstellungsbedingungen seien vergleichbar, und obendrein sei Swiss Just Argentina völlig unabhängig von Just.Die Ausserrhoder Firma Just ist bekannt für ihre natürlichen Kosmetik- und Pflegeprodukte. Diese stellt sie selbst her und verkauft sie im Direktvertrieb. 2016 weihten die Gebrüder Hansueli und Marcel Jüstrich, denen das Familienunternehmen in dritter Generation gehört, am Betriebsstandort in Walzenhausen den «Generationenbau» ein, ein topmodernes Produktions- und Bürogebäude, 70 Meter lang, sechs Stockwerke hoch, Hanglage.Luftlinie über 11'000 Kilometer entfernt, in Buenos Aires, ist Feuer im Dach. Mitarbeitende der Distributionsfirma Swiss Just Argentina posieren auf ihrem Instagram-Kanal mit verunstalteten Just-Plakaten. Auf einem mit der Aufschrift «Just Swiss Quality» ist schräg darüber gedruckt «Traidores» (Verräter). Ein anderes Just-Plakat mit der Frage «Wessen Leben werden Sie heute verändern?» ist mit der Antwort beschmiert: «Jenes von 52 Personen, die rausgeworfen werden.»Angestellte sprechen von einer Nacht- und NebelaktionWorum geht es? Mitte Februar 2021 wurde den Mitarbeitenden von Swiss Just Argentina freigegeben – überraschend, sagen Angestellte. Sonst habe man sogar an Feiertagen gearbeitet. Kurze Zeit später fanden sie das Lager geräumt vor. Die Waren seien in ein anderes Lager verfrachtet worden, gut 70 Kilometer entfernt, das einer Firma namens Transfarmaco gehört. Per Zoom wurde den Mitarbeitenden mitgeteilt, was Sache ist: Das Unternehmen sei über die Jahre stark gewachsen und wolle weiter expandieren, und der alte Standort genüge nicht mehr. Deshalb die Züglete zu einer Partnerfirma, und die Belegschaft solle kündigen. Sie würden dann von Transfarmaco neu eingestellt.Unmutsäusserungen in MedienIn argentinischen Medien lassen Mitarbeitende ihrer Wut freien Lauf. Die Rede ist von einer versteckten Massenentlassung, weil sie in der neuen Firma keine Arbeitsplatzgarantie hätten, sondern erst eine dreimonatige Probezeit bestehen müssten. Ausserdem verlören die Arbeiter Privilegien, die sie sich bei Swiss Just mit zunehmendem Dienstalter erarbeitet hätten. Und auch für ihren Transport an den neuen Standort quer durch den Ballungsraum Buenos Aires werde nicht gesorgt.Unia marschiert am Just-Hauptsitz aufLukas Auer ist Industriesekretär der Gewerkschaft Unia Ostschweiz. Er sekundiert die Arbeiter in Argentinien. Auer sagt: «Swiss Just verfügt dort über gute Sozialleistungen, bietet beispielsweise auch Tagesbetreuung oder gar Tagesschulen, wovon Eltern profitieren, die beide erwerbstätig sind.» Das gebe es bei der neuen Firma nicht. Auch die Löhne und andere Sozialleistungen seien «nicht identisch». Die Unia will nun hier Dampf machen. Am Mittwoch verlasen Gewerkschafter um 12 Uhr mittags vor dem Betrieb der Firma Just in Walzenhausen einen offenen Brief und geben ihn zuhanden der Geschäftsleitung ab. Diese wird zur «Rücknahme der Kündigungen» aufgefordert.Unabhängig und in einer ehemaligen SchuleHeinz Moser ist Geschäftsleiter der Just-Gruppe. Er weist zunächst darauf hin, dass «Swiss Just Argentina wirtschaftlich und rechtlich zu hundert Prozent unabhängig ist von Just». Swiss Just Argentina gehöre einer lokalen Unternehmerfamilie und habe einen Vertriebsvertrag mit der Just-Tochterfirma Just International Latam, die etwas ausserhalb von Buenos Aires Just-Produkte für den amerikanischen Markt herstellt. Swiss Just Argentina nutze die Marke Just, übernehme die Produkte, lagere sie und kommissioniere sie für die Verkaufsberater.Moser war letztmals vor zwei Jahren in Argentinien. Swiss Just Argentina sei in einem ehemaligen Schulgebäude untergebracht, das mittlerweile zu klein sei, keine effizienten Abläufe ermögliche und betreffend Brandschutz und Sicherheit Mängel aufweise. Moser sagt: «Dass es eine neue Lösung braucht, war schon vor zehn Jahren absehbar.»Drei Angebote zur AuswahlDie Besitzerfamilie von Swiss Just Argentina habe deshalb nun entschieden, die Logistik an Transfarmaco auszulagern. Die Information der Belegschaft per Zoom erklärt Moser mit der Coronapandemie. Es solle aber auch individuelle Meetings mit den Angestellten geben, und es sei «faktisch niemand entlassen» worden.Den Mitarbeitenden von Swiss Just Argentina würden drei Lösungen zur Wahl angeboten: Eine Abfindung in doppelter Höhe, wie sie normalerweise bei Entlassungen üblich ist plus ein garantierter Job bei Transfarmaco, eine doppelte Abfindung ohne neuen Job oder die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses bei Swiss Just Argentina – wenn auch ohne Beschäftigung. Zumindest solange, bis Entlassungen wieder erlaubt sind. Solche sind seit Ende März 2020 wegen der Pandemie grundsätzlich untersagt.Vielfältige Beziehung zu ArgentinienMoser sagt, er kenne die arbeitsrechtlichen Bedingungen «nicht im Detail». Er gehe aber davon aus, dass Transfarmaco ähnliche Konditionen anbiete wie Swiss Just Argentina. Und: «Ich werde mich bei der Familie persönlich versichern, dass die Lösungen vergleichbar sind und mit den Mitarbeitenden fair umgegangen wird.» Aber Heinz Moser schiebt auch hinterher: «Unser Einfluss ist nur mittelbar.»Bei Just nimmt übrigens Argentinien eine besondere Stellung ein. Dorthin war Ulrich Jüstrich 1923 ausgewandert, und nach seiner Rückkehr in die Schweiz gründete er 1930 in Walzenhausen in der alten Stickereifabrik seines Vaters das Unternehmen als Einzelfirma für den Vertrieb und alsbald auch zur Produktion von Bürsten. Pflegeprodukte kamen ab 1941 hinzu. In Argentinien eröffnete Just 1995 auch das erste Werk ausserhalb der Schweiz.  

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