Hildegard BickelDie Wanderstöcke in der Hand und den Rucksack geschultert, trafen sich die beiden Männer am 21. Juli, kurz vor sieben Uhr morgens, bei der «Habsburg» in Widnau. Ignaz Hobi lief von seinem Zuhause in Au los, Kurt Sieber im Gässeliwies in Widnau. Vor ihnen lag eine abenteuerliche Strecke nach Meran, voller Auf- und Abstiege und der eindrücklichen Zahl von 17 500 zu bewältigenden Höhenmetern.Die erste Etappe entpuppte sich bereits als Bewährungsprobe. Sie überquerten die Grenze, nahmen in Hohenems einen Znüni zu sich und begannen mit dem Aufstieg. «Lange Wanderung über die Hohe Kugel (1645 m.ü.M.), Valüragrat, Hoher Freschen (2004 m.ü.M.) zum Freschenhaus. Der Aufstieg heiss und trocken», hielt Sieber in seinen Notizen fest. Und: «Wir werden Mitglieder des Alpenvereins Österreich.» Zwölf Nächte in den Bergen folgten. Die Idee der Weitwanderung stammte von Kurt Sieber. In Meran und Umgebung verbrachte er mit seiner Frau Heidi bereits oft und gern Ferien. Es reizte ihn, dieses Reiseziel zu Fuss zu erreichen. Mit Ignaz Hobi, Oberstufenlehrer in St. Margrethen, begleitete ihn ein Wanderfreund, der zuerst respektvoll meinte, zwei Wochen Wandern ohne Ruhetag sei schon etwas viel. Doch gemeinsam wollten sie es wagen. Kurt Sieber, der bei SFS als Abteilungsleiter in der Produktion tätig ist, hat die Bergtour mit Outdoor-Apps wie «Komoot» sorgfältig durchgeplant. Auf Excel-Listen notierte er die Tagesrouten, zu bewältigende Höhenmeter sowie Angaben zu den Hütten. Wegen Corona mussten sie früh genug buchen. Eine Hütte war bereits voll.Wie im Alpstein, aber ohne Menschen Die Strecke führte teilweise über Abschnitte der Europäischen Fernwanderwege E4 und E5, aber auch über anspruchsvollere Routen wie den Augsburger Höhenweg. Kurt Sieber notierte: «Wandern an ausgesetzten Stellen, Kletterei, steile Schneefelder, Dawinkopf (2968 m.ü.M.), Klettersteig bei der Gasillschlucht.» Im Tirol folgten zwei lange Etappen über abgelegene, wenig begangene Alpinwanderwege zwischen Ötz- und Pitztal. «Hier wurden wir das einzige Mal überholt.» Von einer Frau, wie sie anerkennend bemerken. Im Durchschnitt hatten sie 21 Kilometer pro Tag in den Beinen, was rund acht Stunden Wanderzeit entsprach. Ihre Wasserbehälter füllten sie an Brunnen und in Bächen auf. Nur einmal war das Wetter schlecht. Die Route von der Freiburger zur Ulmer Hütte im Arlberg-Gebiet mussten sie ändern und im Tal laufen. Sie hätten auch den Wanderbus und die Seilbahn benutzen können. Doch sie verzichteten auf jegliche Verkehrsmittel und legten jeden einzelnen der 290 Kilometer zu Fuss zurück, was 463 898 Schritten entspricht. Einmal standen sie auf einem Schneefeld plötzlich im Nebel. Die Frage, wo es lang geht, beantwortete das Handy, das ihre Position auch ohne Mobilnetz bestimmen konnte. Mit Hilfe des digital gespeicherten Kartenmaterials konnten sie die Wanderung fortsetzen. Anstrengend war der Weg bei einem nicht enden wollenden Auf und Ab von Jöchl zu Jöchl. In solchen Momenten war es entscheidend, zu zweit zu wandern. «Alleine hätte ich mich schwergetan», gibt Ignaz Hobi zu. Vieles sei Kopfsache, sagt Kurt Sieber. Man müsse sich darauf einstellen, was bevorstehe. «Dann geht es.» Eine spezielle körperliche Vorbereitung war nicht nötig. Die beiden 55-Jährigen durften ihrer Kondition vertrauen. «Wir gehen oft z’Berg», sagt Ignaz Hobi. Letzten Herbst bestieg er gar den Kilimandscharo, eine Tour, die aber nicht mit dieser Weitwanderung zu vergleichen sei. Träger nahmen das Gepäck ab und die Besteigung dauerte weniger lang. Apfelstrudel essen und Kleider waschenWenn die zwei Wanderer nach einer langen Etappe eine Hütte erreichten, gönnten sie sich ein Stück Kuchen oder Apfelstrudel und kümmerten sich um die Wäsche – «die Socken stanken fürchterlich». Im Rucksack, der nicht mehr als neun Kilo wog, befanden sich nur wenig Ersatzkleider, jedoch auch ein Schlafsack. Wegen Corona standen in den Hütten keine Decken zur Verfügung. Davon abgesehen bieten die Hütten immer mehr Vorzüge, sagt Ignaz Hobi. «Es gibt kaum mehr Plumpsklos.» Meistens bestand die Möglichkeit, warm zu duschen. Auch Strom war vorhanden, um das Handy aufzuladen und kulinarisch wurden sie verwöhnt. «Ein Dreigänger, dazu ein Glas Zweigelt oder Edelvernatsch. Es war immer sehr gut.» In Gesprächen mit anderen Wanderern wurden sie manchmal nach Tipps gefragt. Schweizern seien sie nicht begegnet, aber vielen Deutschen. Diskutieren, schweigen, Berge bestimmenWorüber spricht man eigentlich den ganzen Tag beim Wandern? Kurt Sieber lacht. Über Privates und Politisches oder was ihnen gerade durch den Kopf ging. «Häsch no e Thema?», fragten sie sich bei Bedarf oder schwiegen einträchtig, wenn ihnen beim Aufwärtslaufen das Atmen schwerer fiel. Oft holten sie das Handy mit der App «Peakfinder» hervor und bestimmten die Gipfel des Bergpanoramas. Sowieso war das Smartphone unverzichtbar. Die Wanderkarten und Routenplanungen waren allesamt digital heruntergeladen. Auch fotografiert wurde mit dem Handy und wenn es das Mobilnetz zuliess, verschickten sie Whats- App-Nachrichten. Kurt Sieber las manchmal in den Hütten die Zeitung online, Ignaz Hobi leistete sich den Luxus eines E-Readers im Gepäck.Fels und Eis lösen Glücksmomente ausWer sich den Anstrengungen einer solch anspruchsvollen Tour aussetzt, darf auch Glücksmomente erfahren. Für Kurt Sieber sind es die Aussichten in die Bergwelt: «Die Rote Wand, ein markanter Berg in Vorarlberg, begleitete uns während Tagen.» Ignaz Hobi nickt: «Es ist diese Freude an den Bergen.» Es ging ihnen nicht darum, möglichst viele Gipfel zu besteigen und Gletscher zu überqueren, obwohl einige dabei waren. Sie verwendeten ihre Energie, um herausfordernde Wege zu meistern. Am Ende der Weitwanderung, am 3. August in Meran, wurden sie von Kurt Siebers Frau Heidi empfangen. Die Töchter von Ignaz Hobi gratulierten mit Handynachrichten zum Erfolg der «verrückten» Tour. Die beiden Männer freuten sich: «Schön, haben wir dieses spezielle Abenteuer geschafft» – und belohnten sich mit einem Coupe. HinweisMehr Bilder auf rheintaler.ch