29.10.2019

4500 Mitbewerber übertrumpft

Grosse Ehre für Lasse Linder: Der Widnauer gewinnt am Toronto Filmfestival den Award für den besten Kurzfilm.

Von Benjamin Schmid
aktualisiert am 03.11.2022
Marmelade und Katjuscha sind sein Markenzeichen – und seine Familie. Ohne die beiden grauen Faltohrkatzen verlässt er kaum das Haus. Er geht mit ihnen spazieren, nimmt sie mit in die Bar und auch die Einkäufe erledigen sie gemeinsam. Christian «Fidel» Amann ist der Katzenmann von Bregenz. Ob an Land oder auf dem Wasser, er und seine Familie unternehmen alles miteinander.Lasse Linder drehte für die Abschlussarbeit an der Hochschule Luzern einen Kurzfilm mit Christian Amann. Entstanden ist ein 18-minütiger Dokumentarfilm, der es locker mit jedem Katzenvideo, das auf Youtube viral geht, aufnehmen kann. Linder zeigt überraschend intime Einblicke ins Leben seines Protagonisten; beleuchtet Momente voller Glück, Hoffnung und Harmonie, aber auch die Augenblicke der Trauer, Verzweiflung und Einsamkeit.Da Christian Amann unbedingt Vater werden möchte, lässt er seine geliebte Marmelade von einem exklusiven Kater im Ausland befruchten. «Nachts sind alle Katzen grau» ist ein Melodrama der anderen Art.Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt«Geplant war alles anders», sagt Linder. Für seine Bachelorarbeit befasste sich der Widnauer mit der Darstellung von Einsamkeit im Dokfilm. Er wollte die Geschichte eines einsamen Musikers verfilmen. Nachdem er ein Dossier dazu geschrieben hatte, besuchte er mit dem Protagonisten eine Bar. Dort fiel dem Regisseur ein Mann auf, der mit zwei Katzen. Der skurrile Anblick beeindruckte und fesselte ihn, kurz später drehte Linder in Christian Amanns Wohnung eine erste Sequenz. Amanns unkonventionelles Leben abseits gesellschaftlicher Regeln und Normen, seine Wohnkonstellation mit zwei Katzen und sein Wunsch nach Vergrösserung der Familie passten perfekt in Linders Überlegungen.Trotz Ungewissheit, ob es funktioniert und vieler nicht beeinflussbarer Faktoren, wie die Befruchtung der Katze, gab der 25-Jährige sein Dossier ab und erhielt die Erlaubnis zu starten. Mehr noch, die Rheintaler Kulturstiftung unterstützte ihn sogar mit einem Förderbetrag. Vor dem ersten Drehtag mussten Details geplant und Termine vereinbart werden. Linder und sein Team waren gezwungen, auf die Rolligkeit von Marmelade zu warten und zu hoffen, dass bei der Befruchtung alles klappt.Am 2. März ging alles schnell. Marmelade wurde plötzlich rollig. Linder musste in Kürze das Equipment beschaffen und sein Team einsammeln. «Mitten in der Nacht fuhren wir zu meinen Eltern und quartierten uns bei ihnen ein», sagt der Regisseur. Mit Kameramann Robin Angst und Tontechniker Nicolas Büttiker hat der Widnauer früher schon zusammen gearbeitet, neu dabei war Filmeditorin Michèle Flury.Der Film lebtvon EmotionenEs folgte ein eintägiger Drehmarathon. Zu später Stunde waren die Aufnahmen im Kasten und das Team begab sich auf den Heimweg. Doch so weit sollte es nicht kommen. Ein entgegenkommendes Auto raste frontal in ihren Wagen. Das Programm drohte, fertig zu sein, bevor es richtig gestartet war.«Dass sich beim Unfall keiner schwere Verletzungen zuzog, war Glück», sagt Linder, «und es hat uns bis zur Filmpremiere nicht wieder verlassen.» «Nachts sind alle Katzen grau», setzte sich gegen 4500 Bewerber aus aller Welt durch und gewann den «IWC Short Cuts Award for Best Short Film» in Toronto.«Ich kann es weder fassen noch richtig einordnen», sagt der Filmer. Er versuche, den Moment zu geniessen und Erlebnisse festzuhalten, dennoch sei der Blick in die Zukunft gerichtet. Lief sein Werk schon in Toronto, St. Petersburg und Locarno, wird er bis Ende Jahr auch noch an Filmfestivals in Schweden, Spanien, Italien, Holland, Frankreich, den USA und auch in der Schweiz zu sehen sein. Der Film besticht mit seiner mitfühlenden Charakterschilderung eines Mannes auf der Suche nach seiner eigenen unkonventionellen Familie. Die Grenzen zwischen Dokumentation und Erzählung verwischen und der Zuschauer beobachtet den Hauptdarsteller und das Kernthema gleichzeitig mit Empathie und Empörung.Linder möchte Emotionen statt explizite Botschaften transportieren und gleichzeitig darauf hinweisen, dass alle Menschen gleich sind, egal welche Ecken und Kanten ihre Konterfeie schmücken.Hinweis«Nachts sind alle Katzen grau» wird am Mittwoch, 6. November, um 20 Uhr an den internationalen Kurzfilmtagen in Winterthur vorgeführt.

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